Der Wolf
ein Wolf demnach etwa hundert
Wühlmäuse täglich fangen, um am Leben zu bleiben, was
nur in Ausnahmesituationen, etwa bei Massenvermehrungen von Lemmingen, kräftemäßig möglich wäre. In den
allermeisten Fällen dürfte der Energieaufwand hierfür bei
weitem den Energiegewinn durch die Nahrung übersteigen,
was den baldigen Tod bedeuten würde. Auch falls ein Wolf
sich auf diese Weise eine Zeitlang gerade eben am Leben
erhielte – auf die Dauer könnte er mit dem für diese Jagd
sehr viel besser angepaßten Fuchs nicht konkurrieren. Der
Fuchs braucht nicht nur viel weniger Nahrung, sondern
ist zusätzlich noch ein geschickterer Mäusejäger. Auch bei
den häuslichen Abfällen muß der Wolf mit Fuchs, Hund
und Katze konkurrieren, die alle mit weniger Gefahr für
ihr Leben an diese zumeist in der Nähe menschlicher Siedlungen befindlichen Futterquellen herankommen.
Bei Beutetieren mittlerer Größenordnung wie Kaninchen
und Hase bis zum Reh muß der Wolf in vielen Gebieten
mit dem Fuchs und einem weiteren Beutegreifer konkurrieren : dem Luchs. So liegt eine Untersuchung aus den
slowakischen Karpaten vor, wonach dort die Rehe hauptsächlich vom Luchs, Hirsche dagegen vom Wolf gerissen
werden. Auch in Nordamerika bevorzugt der Luchs Beutetiere in der Größe von Kaninchen und Hasen, während
der Wolf in der Hauptsache die Huftiere bejagt. Kojote,
Bär und Vielfraß zeigen ebenfalls, trotz gewisser Überlagerungen im Beutespektrum, deutlich vom Wolf abweichende Ernährungsgewohnheiten. Im Laufe der Evolution
der Landraubtiere ist demnach eine gewisse Spezialisierung erfolgt, bei der in den Gebirgs-, Wald- und Tundragebieten der nördlichen Erdhalbkugel der Wolf sich zum
hauptsächlichen Beutegreifer der Huftiere entwickelte. Über
weite Teile dieses Gebietes ist er dabei fast konkurrenzlos. Erst in den Gebieten mit hohen Wilddichten, etwa im
Westen Nordamerikas mit seinen für große Pflanzenfresser günstigen Biotopen, erhält er durch den Puma Konkurrenz (siehe Tabelle). Dieser ist in bezug auf seine Jagdweise mehr spezialisiert und braucht daher größere Beutedichten. Auch in den hochproduktiven Urwaldgebieten
im Süden und im Westen Asiens kommen neben dem Wolf
spezialisiertere Arten wie Tiger, Leopard und Hyäne vor,
die schließlich – wie der Puma im äußersten Westen Amerikas – den Wolf verdrängt haben. Die Artenzahl der auf
Huftiere Jagd machenden Beutegreifer ist also weitgehend
abhängig von der ihnen zur Verfügung stehenden Beutebiomasse und diese wiederum von der für Huftiere verwertbaren Primärproduktion, also von Gräsern, Sträuchern
und niedrigen Bäumen. Deutlich wird dies, wenn wir die
Artenzahl größerer Beutegreifer in der Savanne Ostafrikas
mit ihren enormen Wilddichten betrachten.
Der Wolf ist also vor allem ein Jäger größerer Beutetiere,
die in relativ geringer Dichte auftreten. Daneben nutzt er
aber auch jede andere sich ihm bietende Möglichkeit, Nahrung zu beschaffen, solange seine Sicherheit nicht gefährdet und die Energiebilanz bei der Jagd positiv ist. Wann
sich die Jagd lohnt, muß der junge Wolf lernen. So berichtete Dave Mech beispielsweise, daß ein von ihm beobachtetes Wolfsrudel eine Jagd sehr bald abbrach, wenn die Tiere
merkten, daß das angegriffene Beutetier ihnen zu schnell
war oder ein sich stehend zur Wehr setzender Elchbulle
für einen Angriff zu gefährlich erschien. Gordon Haber
erzählte mir, daß dies am Mount McKinley nicht anders
sei ; bei Gruppen junger Wölfe, die sich vom großen Rudel
abgesetzt hatten, beobachtete er, wie sie manchmal tagelang einen eingekreisten Elch belagerten, bis sie schließlich einsehen mußten, daß dieser für sie eine Nummer zu
groß war. Auch meine zahmen Wölfe jagten, wie wir wissen, als Welpen und Heranwachsende in ganz hoffnungsloser Position irgendeinem Tier nach. Daß Krähen auf dem
Feld nicht zu kriegen waren, lernten sie schnell. Etwas länger dauerte es, bis sie Hasen mit großem Vorsprung nicht
mehr nachrannten ; und länger noch schließlich brauchten
sie, um einzusehen, daß die Ricklinger Kühe und Pferde
ihnen bei weitem überlegen waren.
Tägliche Jagdroutine
Als Großwildjäger in Gebieten mit wenigen, weit verteilt
lebenden Beutetieren, die zudem wehrhaft, schnell und
listig sind – wie machen das die Wölfe, wie überleben sie
unter solchen für sie ungünstigen Bedingungen ?
Zunächst müssen sie ihre Beute finden. Mit einer Geschwindigkeit von sechs bis acht Kilometer in der Stunde
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