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Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Zimen
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jenem Winter für die Wölfe
günstigen Schneeverhältnisse. Interessant ist auch, daß sie
trotz ihres hohen Jagderfolgs alle Beutetiere bis auf Haut
und Knochen auffraßen. Manchmal ließen sie zwar ein
angefressenes Stück liegen, kehrten aber Tage oder Wochen
später dorthin zurück und fraßen es vollends auf.
    Diese Daten wurden anhand von Spuren im Schnee aufgestellt; vermutlich blieben daher einige erfolglose Jagdversuche unentdeckt. Trotzdem dürfte der Jagderfolg der Wölfe
bei den etwa 70 Kilogramm schweren Weißwedelhirschen
höher liegen als bei den sehr viel schwereren Elchen. Dave
Mech rekonstruierte 131 Jagdversuche eines 15- bis 16köpfigen Rudels bei Elchen anhand seiner Beobachtungen auf
Isle Royale. Insgesamt wurden dabei nur sechs Elche getötet ; das ist ein Jagderfolg von knapp 5 Prozent. Die meisten
Elche konnten durch Flucht entkommen. Wurden sie eingeholt, liefen sie trotzdem weiter, ohne daß die Wölfe eine
Chance bekamen, sich festzubeißen. Einige Elche blieben
auch stehen und verteidigten sich durch kräftige Tritte mit
den Vorderläufen.
    Ebenfalls auf Isle Royale wird deutlich, daß Einzelwölfe
oder kleine Rudel es sehr viel schwerer haben, genügend
Beutetiere zu erlegen. Es scheint, daß sie sich teilweise von
den übriggelassenen Beuteresten der großen Rudel ernähren.
    Offensichtlich ist es für die Wölfe schwieriger, einen Elch
zu töten, als einen Hirsch zur Strecke zu bringen. In Gebieten, in denen beide Arten nebeneinander vorkommen, bevorzugt der Wolf wohl auch deswegen die kleinere Beuteart.
Auf Isle Royale, wo es außer einigen Bibern nur den Elch
gibt, werden zudem nach der Setzzeit schlagartig die jungen
Kälber bejagt. Die geringere Fleischausbeute eines Elchkalbes wird durch den ebenfalls geringeren Energieaufwand
wettgemacht. Es scheint also, daß die Wölfe in der Lage
sind, eine Art von Energiebilanz für die unterschiedlichen
Beutearten zu ziehen, in die auch weitere Faktoren, wie
Größe der Beute, Gelände und sonstige Jagdbedingungen,
und wohl auch eine Einschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten eingehen.
Einfluß des Wolfes auf die Beutetierpopulation
    Betrachten wir jetzt etwas genauer, welchen Einfluß die
Wölfe auf die Population ihrer Beutetiere haben. Diese Frage ist allerdings sehr komplex ; der Einfluß wechselt von
Gebiet zu Gebiet und verändert sich zudem mit der Zeit.
Hier kann ich nur versuchen, die drei wesentlichen Einflüsse ganz kurz und schematisch darzustellen : erstens den
auf die Altersstruktur, zweitens den auf den Gesundheitszustand, drittens den auf die Bestandsentwicklung der Beutepopulation. Langfristig betrachtet, kommt noch der Einfluß des Wolfes als Selektionsfaktor für die Evolution der
Beuteart hinzu.
Altersstruktur und Gesundheitszustand
der Beutepopulation
    Falls der Jagderfolg der Wölfe allein von zufälligen äußeren Faktoren wie Gelände- oder Wetterverhältnissen oder
von der eigenen Tagesdisposition abhinge, wäre das Spektrum der getöteten Beutetiere im Mittel ein Spiegelbild
der gesamten Beutepopulation. Die »testhetzende« Jagdweise des Wolfes läßt aber vermuten, daß vor allem die
schwächeren Tiere gerissen werden, das heißt, die besonders jungen, die besonders alten und die durch Krankheit
oder Hunger geschwächten.
    Dies wird durch sämtliche Untersuchungen bestätigt. Da
gibt es zunächst die Ergebnisse aus dem Algonquin Park.
Doug Pimlott verglich das Alter von 331 durch Wölfe gerissenen Weißwedelhirschen mit dem Alter von 275 im selben
Gebiet bei Straßenunfällen oder durch Abschuß getöteten
Tieren. Für den Tod der zweiten Gruppe war eher der Zufall
entscheidend ; sie repräsentiert daher in etwa die tatsächliche Altersstruktur der Population. Der Vergleich zeigte,
daß die Altersklassen von ein bis vier Jahren 59 Prozent der
Population bildeten, während sie bei den von Wölfen gerissenen Tieren nur 15 Prozent ausmachten ; das heißt, daß es
sich bei 85 Prozent der gerissenen Hirsche um jüngere oder
ältere Tiere handelte. Noch deutlicher war die Altersverteilung bei gerissenen Elchen auf Isle Royale: Hier wurden
zumindest in den ersten Jahren der Untersuchung fast nur
Kälber und überalterte Tiere gerissen. Später hat sich das
geändert, wie wir noch sehen werden.
    Der Einfluß von Krankheit geht besonders deutlich aus
der Untersuchung von Adolph Murie an Dali-Schafen im
Mount-McKinley-Gebiet hervor. Bei den Tieren im Alter
von ein bis acht Jahren lag die Gesamtsterblichkeit

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