Der Wolf
inzwischen wieder
ganz friedlich, so daß ich sie versorgen konnte. Nach einigen Wochen schien sie wiederhergestellt, und ich versuchte
sie zurück ins Gehege zu bringen. Es war nicht möglich.
Fast alle im Rudel, auch einige der jüngeren Rüden, griffen sofort an, und so brachte ich sie schleunigst wieder in
Sicherheit. Mädchens Sturz als Alpha-Weibchen könnte
man als Folge eines »Fahrstuhleffekts« bezeichnen, hervorgerufen durch den vorausgegangenen Verlust ihrer Stellung im Rudel.
Abwehrdrohen eines »Prügelknaben« in einer Felsspalte.
Weitere Ausschlüsse
Mit Mädchens Ausschluß aus dem Rudel sollte es in diesem Winter nicht genug sein. Zuerst kündigte Alexander
scheinbar freiwillig den Kontakt zu den anderen auf und
ging fortan eigene Wege. Waren die Rudelmitglieder unterwegs, schlief er irgendwo; ruhten sie, war er im Gehege
unterwegs. Ansonsten hielt er sich zumeist im Nebengehege auf, dort, wohin die anderen nur kamen, um Kaninchen zu jagen. Doch im Winter waren die Jagdchancen
ohnehin mäßig, und so blieb Alexander fast immer allein
in dem kleinen Gehege.
Seinem Rückzug vom Rudel waren Auseinandersetzungen zwischen ihm und Näschen vorangegangen. Beide hatten lange Zeit gemeinsam unter Wölfchen auf Platz zwei
gestanden. Doch nachdem Näschen mit »seinen« Welpen
wieder ins große Rudel zurückgekehrt war, stellte er die
ranglose Beziehung zu seinem Bruder allmählich in Frage.
Zuerst war nicht viel zu bemerken. Nur wenn Alexander
in Näschens Nähe kam, knurrte dieser unvermittelt. Später ging er auch in steifer Haltung und mit hocherhobenem Schwanz auf Alexander zu, legte seinen Kopf über
den Rücken des Rivalen und knurrte. So konnten die beiden lange stehen, ohne sich zu rühren, bis einer wegging
oder gar Näschen sich mit den Vorderbeinen auf den Rükken Alexanders stellte und noch lauter und zähnebleckender drohte als zuvor. Alexander ging dann ganz langsam
weg, als sei nichts passiert, während Näschen zum nächsten Baum stolzierte, mit steil angehobenem Bein urinierte
und hinterher aufgeregt mit allen vieren scharrte.
Dieses ständige Drohen und Imponieren konnte Alexander auf die Dauer nicht ignorieren. So begann er zurückzudrohen, um deutlich gegen Näschens Einschüchterungsversuche zu protestieren, was, wie zu erwarten war, Näschen
nur noch aufdringlicher machte. Er schob sich breitseitig an
Alexander heran, und als dieser gegen ihn schnappte, drehte
er – als Angreifender ! – den Kopf weg. So erstarrte Alexanders Schnappen zu einem zähnebleckenden Grinsen.
Das ging wochenlang so, mal etwas ruhiger, mal wieder
laut und aufdringlich. Immer war es Näschen, der zu reizen
begann, und Alexander, der reagieren mußte. Ein paarmal
wurde Alexander auch von der »Halbstarkenbande« mit
angegriffen, konnte sich ihr gegenüber aber schnell durchsetzen. Trotzdem dürften die gleichzeitigen Angriffe von
oben wie von unten in der Rangordnung den Ausschlag
gegeben haben, denn kurz danach sah ich Alexander erstmals Demutsverhalten gegen Näschen zeigen. Danach hörte
die Belästigung auf. Eine neue Rangfolge hatte sich etabliert, lautstark und nach langer Fehde, aber im Vergleich
zu dem vorher beschriebenen Führungswechsel bei den
Weibchen auf geradezu harmlose Weise. Dennoch mied
Alexander danach zunehmend den Kontakt zu den anderen Rudelmitgliedern. Halb freiwillig, halb gestoßen war
er aus dem Rudel ausgeschieden.
An diesen beiden Beispielen können wir einige Unterschiede in den internen Beziehungen zwischen den Rüden und
zwischen den Weibchen erkennen, die auch später immer
wieder bestätigt wurden. Im Rangkampf zwischen den
Weibchen wurde von Anfang an aggressiv angegriffen :
ohne Beißhemmung, ohne Drohen, Imponieren oder andere Formen von zur Schau gestellter Stärke. Alle Weibchen
beteiligten sich an den Auseinandersetzungen, und die
Verliererin des Kampfes wurde weiter hemmungslos angegriffen, ja wäre sogar getötet worden, wenn ich sie nicht
aus dem Rudel entfernt hätte. Bei den Rüden (hier ging
es allerdings nur um die zweite Position der Rangordnung) waren die Auseinandersetzungen sehr viel weniger aggressiv. Auftritte, Drohungen, Imponieren und Proteste beherrschten die Szene. Fest gebissen wurde kaum,
und dementsprechend gab es auch keine ernsthaften Verletzungen. Außerdem war der Kampf nur auf die in der
Rangordnung direkt benachbarten Tiere beschränkt, und
der Verlierer erlebte keinen »Fahrstuhleffekt«. Beide Verlierer, Mädchen wie Alexander,
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