Der Wolf
wechselseitiger Antriebs- und Hemmungsmechanismen.
Die Aggression ist im Interesse des einzelnen, das heißt,
für seine Konkurrenz mit den Artgenossen, vorhanden.
Eine ungehemmte Aggression jedes einzelnen würde aber
die soziale Organisation des Rudels völlig sprengen. Die
hierarchische Organisation hingegen ermöglicht, jedenfalls
zeitweilig, relativ stabile Verhältnisse, da sie die Aggressivität dämpft. Das ist für das Rudel und damit auch für jedes
einzelne Mitglied von Vorteil, denn es verhindert fatale
Verletzungen und ermöglicht die Durchführung von Aufgaben, die für alle lebenswichtig sind.
Für jedes Rudelmitglied muß es demnach ein optimales
Gleichgewicht geben zwischen den eigenen individuellen
Interessen und denen des Rudels, die ja letztlich auch die
seinen sind. Was sind aber nun die Interessen des einzelnen ? Was nutzt ein hoher Rang? Ist es immer unvorteilhaft, rangniedrig zu sein? Um diese Fragen beantworten
zu können, müssen wir uns die tatsächliche Entwicklung
im Rudel noch einmal kurz vor Augen führen.
Konstanz der Rudelgröße
Trotz des jährlichen Zuwachses blieb die Größe des Rudels,
nach einer anfänglichen Wachstumsphase, über die Jahre
hinweg relativ konstant. Dabei habe ich nie ein Rudelmitglied, sondern immer nur bereits aus dem Rudel Ausgestoßene oder freiwillig Ausgeschiedene und einmal drei
Welpen aus dem Gehege entfernt; außerdem brach, wie
geschildert, ein großer Teil des Rudels von allein aus. Die
Regulation der Rudelgröße haben die Wölfe also weitgehend selber bewirkt. Danach scheint die obere Kapazitätsgrenze für das Rudel in diesem Gehege bei maximal etwa
elf erwachsenen und juvenilen Tieren zu liegen. Dazu kommen noch die Welpen.
Interessant sind die Beobachtungen von Dave Mech, wonach die Wölfe in Minnesota hauptsächlich im Herbst und
im Frühjahr aus den bestehenden Rudeln ausscheiden. Dies
deckt sich weitgehend mit dem Zeitpunkt des Ausscheidens
in unserem Rudel und entspricht der Zeit erhöhter sozialer
Unruhe, von der soeben die Rede war. Die Zeit sich neu
formierender Rangbeziehungen ist auch die Zeit erzwungener und freiwilliger Rudelabgänge.
Wer schied aus dem Rudel aus, und warum ? Mit Ausnahme des ersten Jahres, in dem die Altersklasse der Jungwölfe fehlte, handelte es sich bei den Ausgeschiedenen stets
um erwachsene Tiere, die in zwei Gruppen zu unterteilen
sind: Entweder waren es ranghohe Altwölfe, die ihre Position verloren hatten, oder rangniedrige, gerade adult gewordene Jungwölfe. Jeder Geburtsjahrgang wurde im Rudel von
Jahr zu Jahr kleiner. Meistens blieben von jeder Altersklasse
nur ein oder zwei Tiere als Erwachsene im Rudel übrig. Aus
dieser altersbedingten Reduktion der Rudelgröße läßt sich
ein allgemeines Modell des Wolfsrudels ableiten, bei dem
ein Rudel aus einem Paar, den beiden ranghöchsten Tieren, besteht, zu denen sich unter Umständen ein oder mehrere erwachsene Wölfe, zumeist Rüden, gesellen können.
Diese Tiere sind in der Regel entweder Kinder oder Wurfgeschwister von einem der beiden Alpha-Tiere ; es können
aber auch ganz fremde Wölfe sein, wie einige Beobachtungen in freier Wildbahn zeigen. Zu dieser kleinen Gruppe
erwachsener Wölfe im Rudel kommen die am Leben gebliebenen dies- und letztjährigen Jungtiere.
So gesehen, unterscheiden sich die Wölfe in ihrer sozialen
Organisation von den anderen solitär oder in kleinen Gruppen lebenden Caniden im wesentlichen nur durch ein längeres Verbleiben der Welpen bei ihren Eltern. Allerdings
gilt dies nicht immer und überall, zum Beispiel nicht für
die Wölfe in den Abruzzen, von denen noch zu reden sein
wird. Dort sind – durch frühe Abwanderung der Jungtiere
bedingt – die Rudel klein und ähneln in ihrer Sozialstruktur eher der des Fuchses. Das hängt zusammen mit der
sozialen Anpassung der Rudelgröße an die speziellen ökologischen Bedingungen, von denen ebenfalls später die Rede
sein wird.
Bei den aus dem Rudel ausgeschiedenen Wölfen lassen
sich einige geschlechtsbedingte Unterschiede erkennen. Es
scheint, daß Weibchen eher gezwungenermaßen das Rudel
verlassen : Entweder hatten sie ihre ranghohe Stellung durch
Kampf verloren, oder es waren geschlechtsreife junge Weibchen, die vom Alpha-Weibchen vertrieben wurden. Etwas
anders ging es bei den Rüden zu. Auch hier verließ der ehemalige Alpha-Rüde Wölfchen das Rudel, allerdings eher
freiwillig als gezwungenermaßen. Ebenso verließen einige
der rangniedrigeren
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