Der Wolfsmann
die Armgelenke.
»Er hat sie zurückgerufen«, vermutete Mythor.
»Wer? Der Wolfsmann?«
»Der Dämon. Sie haben ganz zweifellos ein Signal bekommen.«
»Aber wozu? Sie hatten uns in der Zange. Wir hätten keine weitere Minute überlebt!«
»Er muss andere Pläne mit uns haben«, murmelte Sadagar. Der Steinmann blickte unsicher in Richtung Marktplatz. »Das alles kann nur bedeuten: Er weiß, dass wir hier sind.«
Mythor versuchte, sich einen Reim auf den Abzug der schwarzen Wölfe zu machen, doch die Beweggründe des Dämons blieben im dunkeln.
»Ich. ich danke euch«, sagte Nottr in das finstere Schweigen hinein. »Ihr habt mir das Leben gerettet.«
Er sagte es nicht so, wie man eine Tatsache feststellte, sondern eher, als wolle er Mythor und Sadagar klarmachen, was sie gerade getan hatten. Mir, der euch verraten hat...
»Was sagst du dazu, Mythor?« fragte der Steinmann. »Werfen wir ihn wieder hinunter?«
Nottr fuhr herum. »Was?«
»Hör endlich mit den alten Geschichten auf, Nottr«, sagte Mythor kopfschüttelnd. »Jeder macht einmal einen Fehler, und außerdem hast du uns im Lager der Plünderer das Leben gerettet.«
»Ja«, stimmte der Steinmann zu. »Und anstatt tiefschürfende Reden zu führen, sollten wir sehen, wie wir von hier fortkommen.«
Er sah zu Kalathee hinauf, die zusammengekauert da saß, die Augen nun geschlossen. Ihr Zittern kam nicht nur von der Kälte.
»Wir steigen in das Haus zurück«, sagte Mythor. »Die Wölfe kommen vorerst nicht wieder.«
*
Sie befanden sich wieder im Erdgeschoß in einem Zimmer, das außer der Tür zum Korridor ein Fenster hatte, welches auf eine schmale Gasse zeigte, die wiederum zu einem Hinterhof führte. Ein besseres Versteck gab es nicht - falls man von einem Versteck überhaupt reden konnte, wenn Corchwll ohnehin wusste, wo sie steckten.
Mythor war davon überzeugt, dass die schwarzen Wölfe hinter jeder Straßenecke lauerten und jede ihrer Bewegungen an ihren Herrn weitermeldeten.
Sadagar hatte etwas zu essen gefunden, eingesalzenen Fisch und Früchte. Zwei Krüge mit Wein löschten den Durst der Freunde und gaben ihnen ihre Lebensgeister zurück. Vor allem Kalathee taute nach den ersten Schlucken regelrecht auf. Es zeigte sich, dass sie tatsächlich von dem, was auf dem Dach passiert war, so gut wie nichts mitbekommen hatte.
»Immerhin haben wir ein Ziel erreicht«, sagte Mythor. »Corchwll ist auf uns aufmerksam geworden.«
Nottr lachte rau. »Das soll gut für uns sein? Er hat uns in der Falle. Ein Befehl an seine schwarzen Bestien, und sie sind zurück und reißen uns in Stücke!«
»Sie hätten es auf dem Dach tun können. Dass Corchwll es verhinderte, zeigt, dass er, aus welchen Gründen auch immer, Interesse an uns gefunden hat.«
»Ja«, murmelte Sadagar. »Das Interesse einer Katze an der Maus.«
»Wir leben«, stellte Kalathee fest. Überrascht sah Mythor sie an. Es waren die ersten Worte, die er seit Stunden von ihr gehört hatte.
»Wir müssen an ihn heran«, sagte Mythor. »Es war von Anfang an unser Ziel, ihn aus seinem Versteck zu locken. Wenn er uns haben will, muss er persönlich kommen. Er weiß, dass wir uns nicht von den Wölfen zu ihm schleppen lassen.«
Niemand antwortete darauf. Die Angriffe der schwarzen Wölfe hatten die ganze Energie der Freunde gefordert. Nun kehrten ihre Gedanken zu Corchwll zurück. Sie sahen die Szene wieder vor sich, wie die Kreatur der Finsternis aus der Gasse getreten war, und ihre Blicke zeigten Mythor nur zu deutlich, was sie davon hielten, sich dem Dämon auszuliefern.
Doch dann war es Nottr, der sagte: »Was soll's? Wir kommen nicht aus Lockwergen heraus. Also greifen wir an. Wir müssen den Feind im Herzen treffen. Ich bin sicher, dass die Wölfe sich verziehen, sobald Corchwll nicht mehr lebt!«
Mythor lachte humorlos. Er hatte gesehen, wie Dämonen aus Körpern von Besessenen fuhren, wenn diese getötet wurden. Die Dämonen verloren ihre Wirtskörper, aber sie starben nicht. Sie kehrten direkt in die Dunkelzone zurück. Und Corchwll? Wenn der Wolfsmann kein Besessener, sondern der Dämon selbst war, was sollte ihn töten können?
»Wir haben keine Wahl«, stellte er fest. »Wir müssen ihn noch mehr provozieren. Wenn wir nur Kalathee in Sicherheit bringen könnten.«
»Ich bleibe an deiner Seite, Mythor!« sagte das Mädchen entschlossen.
Mythor wusste es.
»Und wenn Corchwll nur darauf wartet, dass wir wieder einen Wolf erlegen?« fragte Sadagar.
»Vielleicht tut er das.
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