Der Wolfsmann
Mythor fragte sich mehr als einmal, ob die schwarzen Wölfe vielleicht ebenso wie Corchwll direkt aus der Dunkelzone nach Lockwergen gekommen waren.
Er lag, nach wie vor gefesselt, zwischen Kalathee, Nottr und Steinmann Sadagar in einem Halbkreis, etwa zehn Meter vor der Statue entfernt, deren Kopf mit Anbruch der Dunkelheit wieder zu leuchten begonnen hatte. Zum erstenmal hatte Mythor den Eindruck, als brenne in ihr ein furchtbares Feuer, das durch den hohlen, aus dünnerem Holz geschnitzten Kopf des Standbilds drang und so das Leuchten verursachte.
Zusätzlich hatte der Wolfsmann auf dem Marktplatz Pechfackeln in die Erde gesteckt und angezündet. Die Wölfe waren überall - auf dem Platz, in den Straßen, selbst auf den Dächern niedrigerer Häuser. Nur die Mitte des Platzes war frei von ihnen.
Er war eine Arena von dreißig Schritten Durchmesser, und die schwarzen Wölfe füllten die Zuschauerränge bis auf den letzten Platz, harrten begierig dessen, was geschehen würde.
Nyala von Elvinon, das noch menschliche Wesen, das einmal eine wunderschöne Prinzessin gewesen war, stand ganz dicht bei der Statue. Sie hatte sich nicht bewegt, seit die Gefangenen auf den Marktplatz geschafft worden waren. Der Wolfsmann hatte Mythor und den Gefährten schwere Steine unter Kopf und Schultern gelegt, so dass sie die Statue und ihre Umgebung sehen konnten.
Nyala hatte Mythor keinen einzigen Blick geschenkt. Überhaupt schien sie seltsam entrückt zu sein. Einmal hatte sie mit dem Wolfsmann gesprochen, leise nur, aber was Mythor hören konnte, war dazu angetan, die letzten Hoffnungen darauf zu begraben, Nyala vor ihrem schrecklichen Schicksal zu bewahren.
Sie stand hoch aufgerichtet neben der Statue, in Fellbluse und kurzen Waffenrock gekleidet, und bereitete sich allem Anschein nach innerlich auf die Verwandlung zur Wolfsfrau vor.
Vor der Statue hatte der Wolfsmann eine Art Altar aus Steinen errichtet. Das Gläserne Schwert, Sadagars Messer und Nottrs Waffe lagen daneben am Boden.
Die Wölfe heulten nicht mehr, als Corchwll nun wieder in den freien Raum trat. Vorher war er für eine halbe Stunde verschwunden gewesen, um sich, wie Mythor jetzt sehen konnte, einige Dinge zu holen, die er nun auf dem Steinaltar ablegte. Nyalas Blick richtete sich auf ihn. Er blieb vor dem Altar stehen. Mythors Herz klopfte wild. Ein schneller Blick auf die Gefährten zeigte ihm, dass sie alle drei gebannt zur Statue schauten. Nottr schwieg. Keine Tränen rannen über Kalathees Wangen. Irgendwo gab es eine Grenze, jenseits deren sich der menschliche Geist weigerte, eine Realität zu akzeptieren, an der er sonst zerbrechen musste.
Aber Mythor musste bei Sinnen bleiben! Die Ankündigung Corchwlls, den Pakt, was immer er damit auch meinen mochte, durch die Lebenskraft der Gefährten zu besiegeln, war eindeutig. Doch noch lebten sie, und solange Mythor lebte, musste er Hoffnung haben.
Endlich kam wieder Leben in den Wolfsmann. Er hob langsam die Arme und streckte die Hände beschwörend der Statue entgegen. Als er zu sprechen begann, schienen die schwarzen Wölfe zu erstarren. Mythor drehte den Kopf, so weit es ihm möglich war. Und es stimmte. Überall hatten die Tiere sich niedergekauert. Ihre Augen leuchteten nur noch schwach.
»Erwache!« hallte die heisere Stimme des Wolfsmanns weit über den Platz. »Kraft der Finsternis, erfülle deinen Diener und das Geschöpf, das auf ewig dein sein soll! Erwache und gib deine Kraft!«
Mythors Gedanken überschlugen sich. Zweifellos war der Dämon dafür verantwortlich, dass aus dem Mann am Altar der Tiermensch geworden war. Bisher hatte Nyala immer nur unter dem Einfluss eines Besessenen gestanden - zuerst Drundyr, nun der Wolfsmann. Sollte jetzt auch sie von einem Dämon beseelt werden? Das wäre das Ende. Dann würde nur noch der Tod sie erlösen können.
»Drudin! Auch dich rufe ich! Erscheine, um Zeuge des Paktes zwischen der Frau und der Kraft der Schatten zu sein!«
Selbst der Name des höchsten Caer-Priesters konnte Mythor jetzt nicht mehr beeindrucken.
Drudin erschien nicht - zumindest vorerst nicht.
Corchwll verließ seinen Platz vor dem Steinaltar und legte Nyala ein Stück Wolfspelz um die Schultern, hängte eine Kette aus Wolfszähnen um ihren Hals und bestrich ihr Gesicht und den Brustteil der Fellbluse mit Blut.
Er kehrte an den Altar zurück. »Nun ströme aus, Kraft der Finsternis. Nimm deine Dienerin und mache sie zu deinem Geschöpf!«
Der Wolfsmann versank in die gleiche
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