Der Wolfsmann
Bann, dass er seine unvollkommene Gefährtin fast völlig vergaß. Und nun, als das Schicksal der Menschen besiegelt war, wollte er wissen, mit wem er es zu tun hatte. Sie mussten etwas Besonderes sein. Keine gewöhnlichen Sterblichen, wie sie Corchwll in der Vergangenheit begegnet waren, würden noch am Leben sein.
Sie hatten keine Chance, aus Lockwergen zu entkommen. Dies wissend, gab Corchwll den schwarzen Wölfen den Befehl zum Rückzug. Er traf auf Widerstand. Zu groß war die Blutgier der rasenden Wölfe, um jetzt ohne weiteres aufzugeben. Der Dämon entfaltete seine ganze Macht, sog sie aus der Statue auf dem Marktplatz und schleuderte sie den Wölfen entgegen.
Und sie gehorchten.
Wut, eine letzte Spur von Aufsässigkeit und Unverständnis sprachen aus ihrem Geheul. Warum nimmst du uns unsere Beute, Meister?
Corchwll antwortete und gab Anweisungen. Aus dem bisherigen Verhalten der Menschen hatte er erkannt, dass sie ihn aus seiner Reserve locken wollten. Nun, das sollte ihnen gelingen.
Corchwll schärfte den schwarzen Wölfen genau ein, was sie zu tun hatten. Zusätzlich befahl er ihnen, die Statue noch besser als bisher zu bewachen. Die vier Fremden sollten vorübergehend ihre Bewegungsfreiheit zurückerhalten, doch keine Gelegenheit bekommen, in die Nähe der Statue zu gelangen.
Als er sich davon überzeugt hatte, dass die Wölfe seine Befehle genau befolgten, wandte er sich wieder der Frau zu.
Die eigentliche Umwandlung zur Wolfsfrau sollte erst in der kommenden Nacht beginnen. Einen Großteil der Vorbereitungen zum Ritual hatte Corchwll bereits getroffen. Insgeheim hoffte er, dass Drudin persönlich erscheinen würde, um daran teilzunehmen. Die magische Ausstrahlung dessen, was in Lockwergen in die Wege geleitet wurde, musste bis nach Caer dringen. Und je mehr dunkle Macht den Ort der Umwandlung erfüllte, desto fester wurde die Bindung der Gefährtin an ihn. Schon jetzt gehörte sie ihm.
Die neue Gefährtin hatte damit begonnen, ihn nachzuahmen in der Art, wie er sprach, sich bewegte und das Gesicht verzog. Sie tat das unbewusst, aber es zeigte Corchwll, wie sehr sie danach fieberte, zur Wolfsfrau zu werden.
Ihre Augen waren zu Schlitzen geworden. Die Lippen hatte sie geschürzt, doch noch waren ihre Zähne die der Menschen. Noch war ihr Gesicht haarlos und hell, saßen zarte Finger an ihren Händen. All das sollte sich ändern.
»Wann ist es soweit?« krächzte sie mit heiserer Stimme.
»Hab Geduld!« antwortete der Wolfsmann.
Und wieder lauschte er dem Geheul der Wölfe, die rastlos durch die Straßen streiften und einen undurchdringlichen Gürtel um das Viertel gezogen hatten, in dem sich die vier Menschen aufhielten.
Der Morgen begann zu dämmern. Corchwlls Gedanken waren wieder bei den Menschen. Ihre Lebenskraft sollte den Pakt zwischen ihm, der Gefährtin und den Mächten der Finsternis besiegeln.
*
Mythor sah, wie Nottr über das Dach nach unten glitt, verzweifelt darum bemüht, einen Halt zu finden. Der Wolf hing in seinem Nacken. Nottrs Beine rutschten über die Dachkante. Sein ganzer Körper verschwand. Für Sekunden lähmte das Entsetzen das Denken der Gefährten.
Dann sah Mythor die Finger an der stabilen Dachrinne. Er vergaß die Wölfe um sich herum. Nottr hing an der Rinne fest, den schweren Wolf im Rücken. Die Finger rutschten ganz langsam ab.
Sadagar reagierte blitzschnell. Er setzte sein Leben aufs Spiel, als er sich auf dem Hosenboden bis zur Rinne gleiten ließ, um seine Messer schleudern zu können. Er tötete den Wolf durch gezielte Würfe genau in die Augen und die Halsschlagadern. Nottr schrie. Sadagar rutschte weiter, bis er mit einem Fuß den Wolf, der sich noch im Tod an Nottr klammerte, in die Tiefe stoßen konnte.
Mythor half ihm, den Lorvaner hochzuziehen. Erst als sie alle drei wieder festen Halt hatten, fuhr er herum. Kalathee!
Sie hatten sie vergessen, sie und die Wölfe! Doch die Wölfe waren verschwunden!
Fassungslos sahen die Männer sich an. Kalathee hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Verloren saß sie auf dem Dach, als gehöre sie nicht hierher.
Mythor riskierte einen Blick in die Tiefe. Seltsamerweise erstaunte es ihn nicht mehr sonderlich, auch die Straßen leer vorzufinden. Nur einige Nachzügler, wohl jene Wölfe, die ins Haus zurück- und von dort auf die Straße gelaufen waren, sah er noch in der beginnenden Morgendämmerung verschwinden.
»Was ist los?« fragte Nottr keuchend. Der Lorvaner hatte sein Schwert verloren und rieb sich jetzt
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