Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
verlangen, als ich. Aber es obliegt der Wache der Königin, den Mörder meiner Mutter vor Gericht zu bringen. Wenn es einen Mörder gibt.«
»Wo war denn die Wache, als Königin Marianna ermordet wurde?«, fragte Elena. »Hauptmann Byrne lag sterbend im Marisa-Pines-Pass, und Korporal Byrne war in den Flatlands. Wer war für die Sicherheit der Königin zuständig?«
Für einen Moment herrschte Totenstille. Amon setzte sich etwas aufrechter hin und heftete den Blick seiner grauen Augen auf Elena, während er mit den Fingern seiner rechten Hand rhythmisch auf seinen Oberschenkel trommelte. Raisa wusste, wie wütend er jetzt war, aber sie bezweifelte, dass irgendjemand von den anderen, die ihn nicht so gut kannten wie sie, das ebenfalls erkennen würde.
Dies sind die Leute, mit denen ich zurechtkommen muss, dachte Raisa, wenn ich als Königin erfolgreich sein will.
»Elena Cennestre«, sagte sie. »Das reicht. Ich möchte dich bitten, dich daran zu erinnen, dass zehn Mitglieder meiner Wache im Marisa-Pines-Pass ihr Leben für mich geopfert haben.« Wut und Ärger konnten sie wenigstens von der alles überwältigenden Trauer ablenken.
»Vergib mir, Enkelin«, lenkte Elena ein. »Ich entschuldige mich für meine unverblümten Worte. Ich wollte keineswegs respektlos gegenüber der Wache sein, oder gegenüber Euch, Korporal Byrne.« Sie sah zu Amon hinüber, der kaum wahrnehmbar nickte. »Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir Demonai noch etwas anderes beisteuern können. Du brauchst in diesen Zeiten mehr als den Schutz, den deine Wache dir bieten kann. Wir möchten helfen.«
»Ich werde es nicht vergessen, Großmutter«, murmelte Raisa.
»Hat jemand die Gemächer der Königin durchsucht?«, fragte Elena und sah Amon und Averill an. »Wenn an der zerrissenen Kette ein Amulett hing, könnte es auf den Boden gefallen sein.«
»Eine der Wachen hat das Schlafzimmer der Königin durchsucht, und auch die Umgebung um – um ihren Körper herum«, sagte Amon. Er leckte sich über die Lippen und warf Raisa einen Blick zu. »Es ist immer möglich, dass etwas übersehen worden ist.«
»Wir werden ihr Schlafzimmer und ihren Garten noch einmal gründlich durchsuchen«, befand Averill. »Ich werde heute Nacht in die Stadt zurückkehren und die übrigen Demonai mit hinzuziehen.«
»Wo … wo befindet sich meine Mutter jetzt?«, fragte Raisa und hoffte, dass es kein kalter Ort sein würde. Marianna hatte die Kälte immer gehasst.
»Sie liegt aufgebahrt im Kathedralen-Tempel«, sagte Averill, »in der Obhut von Redner Jemson. Sobald die Redner ihren endgültigen Ruheplatz in den Spirit-Mountains bestimmt haben, werden wir uns um ihre Beerdigung kümmern.«
»Was ist mit Mellony?«, fragte Raisa, die plötzlich von dem Drang überwältigt wurde, ihre Schwester zu sehen. »Wo ist sie? Und … weißt du, wie es ihr geht?«
Averill schüttelte den Kopf. »Sie wird zu ihrer eigenen Sicherheit in Fellsmarch Castle abgeschirmt, heißt es. Sie ist ein zerbrechliches Wesen, wie du weißt, und natürlich wegen des Todes ihrer Mutter völlig aufgelöst. Sie haben sich so nahegestanden …« Seine Stimme versiegte, und Raisa wusste, dass er seine Worte am liebsten wieder zurückgenommen hätte.
Natürlich hatte sie ihre Bedeutung sofort erfasst – Marianna und Mellony hatten einander nahegestanden, aber Raisa und ihre Mutter nicht.
»Es war mir nicht möglich, allein mit Mellony zu sprechen«, fuhr Averill fort, »sosehr ich mich auch bemüht habe. Sie ist von ganzen Heerscharen von Wachen und Zofen umgeben, und die Bayars schwirren ständig um sie herum.«
»Die Bayars? Welche Bayars?«, wollte Elena wissen.
»Alle. Gavan Bayar. Micah, Fiona und Lady Bayar«, sagte Averill. Er machte eine Pause. »Als Gemahl besitze ich nicht die Autorität, sie wegzuschicken. Sie sind wie Kampfhunde, die ein hübsches Haustier umzingeln. Ich rechne jeden Tag damit, dass die Verlobung von Micah und Mellony bekanntgegeben wird, auch wenn ich vermute, dass sie mit der Hochzeit bis nach Mellonys Krönung warten wollen. Nur um sicherzugehen.«
Raisa ließ fast den Teebecher fallen. Sie beugte sich nach vorn. » Was ? Was willst du damit sagen?«
Averill sah Willo und Elena an; sein Blick war fast vorwurfsvoll. »Heißt das, sie weiß es noch nicht?«
»Thorn Rose hat sich erst heute vom Krankenlager erhoben«, sagte Willo. »Wir hielten es für sinnvoll, sie erst etwas zu Kräften kommen zu lassen, bevor wir es ihr sagen.«
Elena nickte.
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