Der Wolfsthron: Roman
Bayars, zu töten. Allerdings hatte Han während ihrer nächtlichen Unterrichtsstunden so viel über Magie gelernt, wie ihm das auf der Akademie niemals möglich gewesen wäre.
Han wollte sich von Crow eine Zusage geben lassen, ehe er die Grenze zu den Fells überschritt. Um Aediion aufzusuchen, musste er sich allerdings an einem sicheren Ort aufhalten, da sein Körper in der Zeit, in der er sich nicht in ihm befand, verletzlich sein würde. Schließlich fand er etwa einen Tagesritt südlich von Fetterford einen Lagerplatz in einer kleinen Schlucht, wo ein Bach in einen größeren Fluss mündete.
Er breitete seine Decken ein Stück oberhalb des Baches auf dem Hang aus. Dann kratzte er ein grobes Loch in die felsige Erde und entzündete darin ein kleines, rauchloses Feuer, das nur zu sehen sein würde, wenn man sich direkt über ihm befand.
Han aß seine übliche Mahlzeit aus Wegebrot, Käse, geräuchertem Fisch und getrockneten Früchten und spülte alles mit Tee hinunter, den er mit etwas Bachwasser zubereitete. Dann beugte er sich näher zum Feuer hin, um besser in seinem Buch mit Zaubersprüchen lesen zu können.
Crow konnte Illusionen erzeugen, aber er schien nicht in der Lage zu sein, selbst Magie zu wirken. Es mangelte ihm an dem Blitz, an der von Magiern erzeugten Energie, mit der sich die Amulette aufluden und die dafür sorgte, dass magische Dinge geschahen. Wenn also Magie das einzige Werkzeug war, das in Aediion Schaden anrichten konnte, sollte Han in Sicherheit sein, wenn er dorthin zurückkehrte. Wenn es so war.
Han trug noch immer den Talisman aus Eberesche und Eiche, den Fire Dancer für ihn hergestellt hatte; bei Han’s letztem Besuch in Aediion hatte er Crow immerhin daran gehindert, von ihm Besitz zu ergreifen. Han musste darauf vertrauen, dass der Talisman ihn auch diesmal schützte. Es war ein kalkuliertes Risiko, aber Crow hasste die Bayars ebenso sehr wie er selbst, und Han brauchte einen Verbündeten. Crow war vermutlich das einzige Wesen, das verfügbar und willig war, Han das alles beizubringen, was er für seinen Sieg können musste.
Han holte tief Luft und konzentrierte sich in Gedanken auf den Raum ganz oben im Mystwerk-Turm, der all die Monate während seiner Zeit in Odenford als Treffpunkt gedient hatte. Er ging zwar davon aus, dass es nicht wichtig war, welchen Ort er wählte, aber dann eignete sich dieser ihm bereits vertraute auch genauso gut wie alle anderen. Er visualisierte also den abgenutzten Holzboden, die riesigen Glocken über seinem Kopf, das Muster, das vom Mondlicht an die Wand geworfen wurde. Dann schloss er die Hand um das Amulett und sprach die Beschwörungsformel, die ihn dorthin bringen würde.
Als er die Augen wieder öffnete, fand er sich im Glockenturm von Mystwerk House wieder und trug die elegante Kleidung der Blaublütigen. Er sah sich rasch um, behielt dabei aber die Hand am Amulett. Er war allein.
Er atmete die warme, feuchte Luft ein – die Luft des Südens. Draußen klapperte ein Wagen über das Straßenpflaster. Würde er ihn sehen können, wenn er zum Fenster eilte? Wenn er nach draußen ging, wenn er nach Hampton House ging – würde er dort Dancer finden? Er wusste es nicht.
Han wartete. Eine Minute verging. Dann noch eine. Vielleicht hatte er sich geirrt, und Crow würde nicht kommen. Enttäuschung wallte in ihm auf. Geduld, Alister, dachte er. Es ist einen Monat her, und ziemlich sicher rechnet Crow nicht damit, dass du überhaupt noch einmal aufkreuzt.
Schließlich zitterte die Luft vor seinen Augen, dann wurde sie heller, und schließlich schien sie sich zu verdichten.
Es war Crow, aber er unterschied sich deutlich von der Gestalt, die Han in Erinnerung hatte. Crow wirkte zerbrechlich, substanzlos, und seine Kleidung wogte wie Engelsflügel um ihn herum. Sein ehemaliger Lehrmeister stand ein Stückchen von ihm entfernt da, breitbeinig und mit erhobenen Armen, als wollte er sich verteidigen. Seine Haare, vorher kohlrabenschwarz, waren jetzt hellblond, beinahe durchsichtig. Nur seine Augen zeigten noch immer dieses strahlende Blau, an das Han sich erinnerte.
»Hallo Crow«, sagte Han.
Crow legte den Kopf schief und betrachtete Han, als würde dieser jeden Augenblick auf ihn losgehen. »Wieso bist du hier?«, fragte er. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dich noch einmal wiederzusehen.«
»Das hier könnte auch das letzte Mal sein«, sagte Han, als wäre es ihm egal, wenn es so wäre. »Aber ich dachte, ich sollte dir die Chance geben,
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