Der Wolfsthron: Roman
Er legte den Kopf leicht schief und beäugte Han kritisch. »Es hat alles perfekt gepasst. Du bist – überraschenderweise – außerordentlich mächtig. Du hattest wenig bis gar keine Ausbildung, was dich für mich zugänglich gemacht hat und dein Verlangen verstärkt hat, Zeit mit mir zu verbringen. Du hasst die Bayars, und angesichts deiner bewegten Vergangenheit habe ich vermutet, dass du rücksichtslos wärst und keine Prinzipien hättest. So weit, so gut.«
»So weit, so gut?«, fragte Han und verdrehte die Augen. So viel Ehrlichkeit hätte es jetzt auch wieder nicht gebraucht.
Crow nickte. »Zuerst konnte ich dich ziemlich gut kontrollieren, vor allem dann, wenn du dein Amulett benutzt hast. Ich habe dich sogar manchmal unterstützt, wenn es so ausgesehen hat, als könntest du vorzeitig getötet werden.«
»Du sprichst von der Dornenhecke an der Grenze zu Delphi, als wir verfolgt wurden«, sagte Han. »Und davon, wie wir bei Ardenscourt Prinz Gerard entkommen sind.« Han hatte einige von Montaignes Soldaten getötet, ohne dass er das Gefühl gehabt hatte, selbst viel dazu beigetragen zu haben.
»Ja«, sagte Crow. »Aber als du im Laufe der Zeit immer besser wurdest, hast du behelfsmäßige Barrieren errichtet, mit denen du mich von dir ferngehalten hast. Das war ziemlich frustrierend, und ich habe nach einem Weg gesucht, wie ich dich wieder für meinen Einfluss zugänglich machen konnte.«
»Und dann bin ich nach Aediion gekommen«, sagte Han.
»Zu meiner großen Freude.« Crow warf ihm einen schrägen Blick zu. »In Aediion warst du immer noch offen für die Visionen, die ich heraufbeschworen habe. Ich konnte immer noch in deinen Geist eindringen. Wir konnten richtige Unterhaltungen führen, und ich konnte dich unterrichten. Dadurch hat sich mir ein ganzes Feld von Möglichkeiten eröffnet.«
»Aber …« Han runzelte die Stirn. »Sogar als wir schon angefangen hatten uns zu treffen, hast du hin und wieder im echten Leben von mir Besitz ergriffen, richtig?«, fragte er. Einmal hatte er sich auf dem Fußboden der Bayar-Bibliothek zwischen alten, verstaubten Büchern wiedergefunden. Unter seinem Umhang war eine alte Landkarte von Gray Lady und eine Liste mit Beschwörungsformeln gewesen. Hastig hingekritzelte Notizen, die jetzt in seiner Satteltasche steckten. »Ich hatte riesige Zeitlücken an den Tagen, an denen wir uns getroffen haben.«
»Die Barrieren, die du errichtet hattest, haben gegen Ende der Unterrichtsstunden, wenn fast keine Magie mehr übrig war, mehr und mehr nachgegeben. Ich konnte Besitz von dir ergreifen und mit dir tauschen, wenn du die Traumwelt verlassen hattest«, sagte Crow ohne den geringsten Hinweis darauf, dass es ihm leidtat.
»Hast du mich deshalb so hart arbeiten lassen?«, fragte Han. »Damit ich müde und erschöpft war und du Besitz von mir ergreifen konntest?«
»Nun … ja, und dann gab es natürlich auch so allerhand zu tun«, sagte Crow. Er zuckte mit den Schultern. »Dummerweise warst du in deiner Erschöpfung für magische Aufgaben unbrauchbar, sonst hätte ich mich gleich an Ort und Stelle um die Bayars gekümmert. Aber ich hatte die Möglichkeit, in die Welt hinauszugehen.«
Han bekam eine Gänsehaut, als er sich vorstellte, wie Crow seinen Körper bewohnt hatte. »Aber du hast dich trotzdem dafür entschieden, deine Zeit in einer alten, staubigen Bibliothek zu verbringen«, sagte er.
Crow sah ihn stirnrunzelnd an. Er wirkte bestürzt. »Du erinnerst dich?«
»Du hast mich ein paar Mal an den falschen Stellen abgesetzt«, sagte Han. »In den Magazinen.«
»Ich hatte nur ein kleines Zeitfenster, bis dein Amulett ganz entleert war«, erklärte Crow. »Und einige Male war es leer, bevor ich dich zu deinem Ausgangspunkt zurückbringen konnte.«
»Und ich dachte schon, ich würde den Verstand verlieren«, sagte Han. »Was hast du gesucht?«
»Ich wollte dir nur ein Stück voraus sein«, antwortete Crow und biss sich auf die Lippe. Er wandte den Blick ab. »Du bist ein sehr fordernder Schüler, Alister, immerzu stellst du Fragen und willst Antworten.«
»Ich glaube dir nicht«, sagte Han. »Ich glaube, dass du eigene Pläne verfolgt hast. Hast du vielleicht nach einer Möglichkeit gesucht, mich vollständig und dauerhaft kontrollieren zu können?«
Crows Augen glänzten, was Han verriet, dass er ins Schwarze getroffen hatte. »Das wäre ein vollkommener Erfolg gewesen. Aber es ist unmöglich, wie es scheint.« Crow schloss die Augen, als würde er alles noch
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