Der Wolfsthron: Roman
trifft, befindet sich Dekanin Abelard bereits auf dem Weg in die Fells«, sagte Lady Gryphon. »Wir werden sie sicherlich um ihre Meinung bitten; allerdings werdet Ihr, realistisch betrachtet, als Student im ersten Jahr wohl eher begrenzten Kontakt zur Dekanin von Mystwerk House gehabt haben.«
»Tatsächlich habe ich Dekanin Abelard sehr häufig gesehen«, erwiderte Han und glättete seine Stolen. »Sie war … eine Art Mentorin für mich.« Er hatte nicht vorgehabt, die Abelard-Karte schon so früh auszuspielen, aber im Augenblick stellte sie eine willkommene Ablenkung dar.
Bayar zog die Brauen zusammen. Micah und Fiona hatten ihn sicherlich bereits über Abelard und Alister in Kenntnis gesetzt.
»Was immer Abelard auch sagen mag, Hoheit, Ihr müsst das Risiko bedenken, das darin liegt, einen solchen Menschen in Eurer Nähe zu haben«, fing Bayar an.
Und wurde von Raisa rüde unterbrochen. »Diese Unterhaltung ist beendet. Ich habe meine Entscheidung getroffen, und Alister ist meine Wahl. Ich hatte die Hoffnung, dass dieser Rat meine Wahl mit Anstand annehmen würde. Da das nicht der Fall ist, werdet Ihr lernen müssen, damit zu leben.«
Lord Averill musterte Han; seine Augen waren zu Schlitzen verengt, als fragte er sich, was sein Söldner im Schilde führte.
Lord Bayar sah Raisa unverwandt an, und da war etwas in seinem Blick, das Han einen Schauer über den Rücken jagte. Er hätte niemals so lange auf den Straßen überlebt, wenn er eine Morddrohung in den Augen seiner Feinde übersehen hätte.
Der Hohemagier neigte den Kopf. »Also gut, Eure Hoheit. Wenn Alister Eure Wahl ist, werden wir natürlich dafür sorgen, dass er nächste Woche auf Gray Lady willkommen geheißen wird.« Er würdigte Han immer noch keines Blickes, als wäre es zu viel verlangt, auch noch seine Anwesenheit anzuerkennen.
»Ich freue mich darauf«, sagte Han mit seinem Streetlord-Lächeln. Er versuchte, die Stimme in seinem Kopf zu ignorieren, die ihm sagte: Töte ihn, Alister. Töte ihn jetzt, bevor er es noch einmal versucht.
»Wenn das dann alles ist, wird die Sitzung vertagt«, sagte Raisa abrupt. »Alister, Hauptmann Byrne, Lord Demonai, Redner Jemson, Ihr bleibt noch hier.«
Sie streut absichtlich Salz in die Wunden, die sie gerissen hat, dachte Han.
Die Übrigen verließen steif und schweigend den Raum.
Byrne streckte seinen Kopf aus der Tür und sprach mit jemandem auf dem Korridor; zweifellos mit einer der Blaujacken. Dann schloss er die Tür wieder und kehrte zum Tisch zurück.
Nach einem Moment der unangenehmen Stille sagte Averill: »Du hast dir heute einige Feinde gemacht, Tochter.«
»Hast du geglaubt, sie wären jemals meine Freunde gewesen, Vater?«, fragte Raisa verbittert. Sie stand auf und ging hin und her.
»Sie waren nie deine Freunde«, sagte Averill, »aber jetzt haben sie Grund zu der Annahme, dass du schwer zu handhaben sein wirst.«
»Gut«, antwortete Raisa. »Denn ich werde mich nicht handhaben lassen, und ich lasse mich auch nicht von oben herab behandeln. ›Wir leben schließlich in gefährlichen Zeiten, meine Liebe‹«, fügte sie spöttisch hinzu. »Als wenn ich das nicht wüsste. Sie müssen erkennen, dass die Zeiten sich geändert haben.«
»Es hat bereits zwei Anschläge auf Euch gegeben«, gab Redner Jemson zu bedenken.
»Vier, um genau zu sein«, sagte Raisa und spielte mit dem Heft des Dolches, den sie wie immer bei sich trug.
»Also vier«, berichtigte Jemson sich. »Ich muss zugeben, dass ich besorgt bin, Eure Hoheit.«
»Ich auch«, erwiderte Raisa. »Aber wenn wir sie zum Handeln zwingen, machen sie vielleicht einen Fehler, und wir haben den Beweis, den wir brauchen. Ansonsten fällt mir kein Weg ein, wie wir herausfinden werden, was wirklich mit meiner Mutter passiert ist.«
»Oder wir machen den Fehler, und Ihr werdet tot sein«, sagte Byrne. »Sie müssen nur einmal Glück haben. Wir müssen jederzeit perfekt sein.«
Genau das, was ich auch denke, sagte Han zu sich selbst.
Als hätte sie ihn gehört, wirbelte Raisa zu ihm herum und starrte ihn finster an. »Was ist mit dir?«, fragte sie. »Du hast kaum ein Wort gesagt. Was hältst du von alldem?«
Han sammelte seine Gedanken; er war überrascht, dass sie ihn um seine Meinung bat. »Ich denke, dass es vielleicht klug gewesen wäre, bis nach der Krönung damit zu warten, den Kampf mit Lord Bayar aufzunehmen«, sagte er. »Es ist wie bei einem Wespennest – stochert man darin herum, wird man gestochen, egal wie
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