Der Wolfsthron: Roman
»Ich erinnere mich an Armbrüste, aber nicht daran, dass irgendjemand mit einem Langbogen geschossen hätte.« Alle tot, dachte sie. Nun, das erklärt vielleicht, weshalb die beiden Trauerkleidung tragen. Allerdings … Raisa drehte den Kopf herum und versuchte, die beiden Frauen anzusehen. »Habt ihr Nachricht von meiner Mutter? Weiß sie, was mit Hauptmann Byrne passiert ist? Ist sie auf dem Weg hierher?«
Willos Hände verharrten für einen langen Moment, während sie und Elena Blicke tauschten.
»Das wissen wir nicht, Enkelin«, sagte Elena schließlich. »Wir haben einen Boten nach Fellsmarch geschickt, aber noch keine Antwort bekommen.«
»Es ist drei Tage her, und ihr habt immer noch keine Antwort bekommen?«, fragte Raisa jetzt etwas lauter. Drei Tage, dachte sie. Wieso bist du nicht gekommen? Die Erinnerung an den Traum mit den Wölfen brach plötzlich wieder über sie herein, aber sie wollte nicht darüber reden. Wenn sie es aussprach, würde es Wirklichkeit werden.
»Irgendetwas muss passiert sein«, sagte Raisa. »Irgendetwas stimmt da nicht. Sie hätte geantwortet. So etwas hätte sie nicht einfach ignoriert. Das hätte sie nie getan.«
»Nightwalker ist gestern erneut nach Fellsmarch aufgebrochen, um mit deinem Vater zu sprechen«, sagte Elena. Sie fingerte an ihren Röcken herum. »Die Redner sagen, dass …« Willo schüttelte rasch den Kopf, und Elena beendete den Satz nicht.
»Es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf Nachricht aus dem Vale zu warten«, sagte Willo. Raisa spürte, wie die Macht in Willos Händen sie beschwichtigte und schläfrig machte. »Es kann nicht mehr lange dauern.«
Raisa schloss die Augen und atmete langsam aus; sie versuchte, sich unter Willos Händen zu entspannen. Aber sobald sie ihre Gedanken danach zu sortieren versuchte, was sie wusste und was sie nicht wusste, brodelten neue Fragen in ihr. »Wie … wie bin ich hierhergekommen? Ich war verletzt, und sie haben mich verfolgt, und …«
»Hunts Alone hat Euch hergebracht«, sagte Willo.
Raisa kramte in ihrem Gedächtnis. »Hunts Alone? Wer ist das?«
»Nun.« Willo zögerte. »Vielleicht kennt Ihr ihn unter seinem Flatland-Namen – Hanson Alister.«
Es war also doch kein Traum. Han Alister war mitten in den Spirit Mountains zu ihr gekommen. Han Alister hatte ihr das Leben gerettet.
Aber wie kam es, dass all diese Leute miteinander verstrickt waren?
»Thorn Rose?«, fragte Willo, als Raisa nichts sagte.
»Wieso hat Han Alister einen Clan-Namen?«, platzte Raisa heraus. »Er ist im Vale geboren und noch dazu ein Magier.«
Elena räusperte sich. »Ich wusste nicht, dass ihr beide euch begegnet seid.« Sie klang nicht sehr glücklich darüber. »Er wirkte verwirrt – oder vielleicht war er auch im Delirium. Er hat dich Rebecca genannt.«
»Das ist der Name, unter dem ich mich in Odenford angemeldet hatte«, erklärte Raisa. »Wir waren dort zusammen auf der Akademie. Er wusste nicht, wer ich wirklich bin.«
Aber jetzt würde er es herausfinden. Wenn er es nicht bereits getan hatte.
Raisas Magen krampfte sich zusammen. Sie hatte es ihm selbst sagen wollen – hatte es ihm selbst erklären wollen. Sie hatte nicht gewollt, dass er es von jemand anderem erfuhr.
Elena beugte sich vor und fingerte an ihrem Demonai-Amulett herum. »War Hunts Alone einer von denen, die dich angegriffen haben?«
»Wieso hätte er mich angreifen sollen?«, fragte Raisa gereizt.
»Niemand außer dir und Nightwalker glaubt, dass Hunts Alone die Erbprinzessin angegriffen hat«, sagte Willo und warf Elena einen finsteren Blick zu. »Setzt Euch auf, Hoheit.«
Willo half ihr, sich aufzurichten. Raisa fühlte sich so schwach wie ein neugeborenes Kätzchen.
»Der Amulettschwinger hatte den Talismanring meiner Enkelin in seinem Besitz«, verteidigte sich Elena. »Und Hanaleas Schwert und den Ring, der Hauptmann Byrne gehört hat.« Sie wandte sich an Raisa, als suchte sie in ihr nach einer Verbündeten. »Und wir wissen immer noch nicht, wie Hunts Al… wie Alister dich gefunden hat.«
»Wie auch immer er das geschafft hat, Hunts Alone hat ihr das Leben gerettet«, sagte Willo und brachte Raisas Haare mit den Händen in Ordnung. »Und um das tun zu können, musste er ihr den Ring abnehmen.«
Raisa achtete gar nicht mehr auf die Unterhaltung. »Aber es sind acht gewesen«, platzte sie heraus. »Acht Männer haben mich angegriffen. Was ist aus ihnen geworden? Wie hat er es geschafft, mich von ihnen wegzubringen? Haben sie mich
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