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Der Wolfsthron: Roman

Der Wolfsthron: Roman

Titel: Der Wolfsthron: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cinda Williams Chima
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Miene verriet, dass die Nachricht sie nicht überraschte, sondern nur ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte. Ihre Großmutter Elena schmiedete bereits Pläne, während sie sich die Nachricht durch den Kopf gehen ließ; sie versuchte abzuschätzen, was dies für die Spirit-Clans bedeuten mochte – ganz besonders für die Demonai.
    Averill wirkte, als würde er Raisa am liebsten vor dieser Neuigkeit und allem, was damit einherging, beschützen. Er war in diesem Moment Witwer und zugleich der einzige Elternteil, den sie noch hatte.
    »Oh«, flüsterte Raisa mit zittriger Stimme. »Was sind das für düstere Zeiten.«
    Elena Demonai sank auf die Knie und neigte den grauen Kopf. »Lang lebe Raisa ana’Marianna, die den Namen Thorn Rose in den Highlands trägt, Grauwolf-Königin der Fells.«
    Amon zog sein Schwert. Er sank vor Raisa auf die Knie und legte ihr seine Klinge zu Füßen. »Mein Schwert und mein Leben stehen zu Euren Diensten, Eure Hoheit.«
    Alle knieten sich jetzt hin, gingen zu Boden wie Kiefern im Sturm, sodass schließlich nur noch Raisa stand.
    So wird es jetzt immer sein, dachte sie. Für mich gibt es keinen Schutz mehr, nicht vor alldem hier. Mein ganzes restliches Leben lang werde ich auf mich allein gestellt sein. Sie stand da, mit geballten Fäusten und gesenktem Haupt, und ein zitternder Schluchzer wogte durch ihren Körper, als ihre Träume von einer Wiedervereinigung mit ihrer Mutter zu Staub zerfielen.
    Flower Moon trat mit einem gepolsterten Stuhl hinter sie, und Bright Hand brachte ihr einen Pelzüberwurf, in den Raisa sich dankbar einwickelte. Sie hätte ihn sich am liebsten einfach über den Kopf gezogen und sich darunter versteckt. Wie gern wäre sie jetzt mit ihrer Trauer allein gewesen. Wenn eine Königin starb, zog sich ihre Nachfolgerin traditionell drei ganze Tage zum Trauern in den Tempel zurück, ehe sie sich ihren Pflichten widmete.
    Aber nein – für sie war das nicht möglich. Nicht jetzt. Auch wenn ihr Magen sich so anfühlte, als hätte sie Glasscherben verschluckt.
    Sie sah die Menschen vor sich an und machte eine Geste. »Bitte«, sagte sie. »Steht auf. Oder setzt euch. Macht es euch bequem.« Sie wischte sich mit den Handballen Tränen aus dem Gesicht. »Sagt mir, was passiert ist. Erzählt mir alles.«
    »Meine Dornenrose …« Averill verharrte und schluckte schwer, dann sah er sich in dem Gemeinschaftsraum um. »Wir müssen das nicht jetzt tun – in der Öffentlichkeit. Deine Mutter …«
    »Meine Mutter ist tot, und ich habe das Gefühl, als würde ich selbst nur noch an einem seidenen Faden hängen. Du musst mir jetzt alles erzählen – alles, was du weißt, und alles, was du nur vermutest. Dann werden wir entscheiden, was zu tun ist und ob Zeit zum Trauern bleibt.«
    Ihr Vater blinzelte sie an. Musterte sie ein zweites Mal und neigte zustimmend den Kopf.
    Die Lehrlinge brachten Kissen für die anderen, und Raisa schaffte es endlich, alle von den Knien hochzubringen. Amon saß rechter Hand von ihr, Willo links. Averill und Elena saßen mit gekreuzten Beinen ihr gegenüber.
    Willo sprach mit Bright Hand, die Raisa einen Becher dampfenden Tee brachte. Sie nippte daran und versuchte, die falschen Signale ihrer Nerven zu ignorieren. Sie konnte spüren, wie sie von Kraft durchströmt wurde.
    Willo legte ihr eine Hand auf die Schulter, und die Geste der Heilerin beruhigte sie und klärte ihren Kopf. Raisa schloss die Augen und wünschte sich, sie könnte in den Schlaf des Vergessens sinken.
    Besonders ein Gedanke drängte sich in den Vordergrund: Das ist alles meine Schuld.
    »Wie ist es passiert?«, fragte Raisa und öffnete die Augen. »Und wann?«
    »Sie ist vor vier Tagen vom Königinnenturm gestürzt«, sagte Averill und sah auf seine Hände. »Am frühen Abend. Sie ist vom Balkon gefallen … hinunter in den Innenhof. Sie war sofort tot.«
    Raisas Gedanken wanderten zurück. Das wäre dann an jenem Abend gewesen, an dem ihr die Wölfe erschienen waren. Bevor in der Nacht acht abtrünnige Wachen mit allen Mitteln versucht hatten, sie zu töten. In der Nacht, die auf Edon Byrnes Tod gefolgt war. Das war ein allzu großer Zufall. Die Ereignisse waren miteinander verbunden – mussten miteinander verbunden sein.
    Sie erinnerte sich an Altheas Worte: Dieser Bayar hat Königin Mariannas Ohren verstopft, damit sie unsere Warnungen nicht mehr hören kann. Und jetzt muss sie den Preis dafür bezahlen.
    Willo strich Raisa über die Haare und ließ neuen Tee kommen.

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