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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Pyo›, erklärte der Implantator Hae-Joo, ‹du kannst deine Geschichte von jedem Sony downloaden.›
Dann nahm der Implantator eine Laserzange zur Hand und wandte sich mir zu. Der Laser, erläuterte er, zerschneide das stählerne Halsband, kratze lebendes Gewebe aber nicht einmal an; ich würde also nur ein leichtes Kitzeln verspüren. Ich hörte ein Klicken. ‹Und nun zum subkutanen Barcode.› Der Seelengeber betupfte meinen Hals mit einem Anästhetikum und warnte mich, diesmal würde es wehtun. Das Dämpfungsfeld der Klinge verhindere jedoch, dass der Barcode bei Luftkontakt explodierte und mir den Kopf abriss.
‹Genial›, murmelte Hae-Joo. Er hielt meine Hand.
‹Natürlich ist es genial›, erwiderte der Implantator scharf. ‹Ich habe es selbst entwickelt. Leider kann ich mir das Verfahren nicht patentieren lassen.› Er bat Hae-Joo eine Kompresse bereitzuhalten. Scharfer Schmerz bohrte sich in meinen Hals. Hae-Joo drückte die Kompresse auf die Wunde; der Implantator zeigte mir mit einer Pinzette Sonmi~451s Barcode und sagte, er würde ihn vorsichtig entsorgen. Dann sprühte er Heilat auf die Wunde und legte mir einen hautfarbenen Verband an, den ich vor dem Schlafengehen wechseln sollte. ‹Und jetzt›, fuhr er fort, ‹begehe ich ein so neuartiges Verbrechen, dass es noch nicht mal einen Namen hat. Die Beseelung eines Duplikanten. Doch statt feierlicher Blasmusik, eines Nobels für herausragende wissenschaftliche Leistungen und eines einträglichen Jobs an der Universität bekomme ich dafür nur einen sicheren Platz im Leuchtturm.›
‹Und›, bemerkte Hae-Joo, ‹einen Abschnitt in der Geschichte des Kampfes gegen die Konzernokratie.›
‹Danke, Bruder›, erwiderte der Implantator, ‹gleich einen ganzen Abschnitt!› Der Eingriff war schnell erledigt. Er legte meine rechte Hand auf ein Tuch, sprühte das Anästhetikum auf, schnitt in die Kuppe meines rechten Zeigefingers, stillte mit Koag die Blutung, setzte mit der Pinzette meine Seele in den Schnitt und sprühte Kutan darüber, um alle Spuren meines plötzlichen Aufstiegs in die Schicht der Reinblüter zu beseitigen. Diesmal hatte sein Sarkasmus einen ernsten Unterton. ‹Möge deine Seele dir im gelobten Land viel Glück bringen, Schwester Yun-Ah Yoo.›
Ich bedankte mich. Ma Arak Na, deren Anwesenheit ich völlig vergessen hatte, sagte aus ihrer Luke: ‹Damit es auf dem Weg dorthin keine unangenehmen Fragen gibt, rate ich Schwester Yoo, sich zu ihrer neuen Seele schleunigst das passende Gesicht zu besorgen.›
     
    Dann war dein nächstes Ziel wohl der Facedesigner.
Ja. Der Portier begleitete uns bis zur T’oegyero-Straße an der Nordgrenze von Huamdonggil. Von dort fuhren wir mit der Metro zu einer einstmals vornehmen Galleria in Shinch’on. Die Rolltreppe führte uns zwischen Kronleuchtern hindurch, die die Psalmen des Allgegenwärtigen Vorsitzenden spielten, in eine labyrinthische Zone auf der Baldachinebene, die nur von Konsumenten frequentiert wurde, die genau wussten, was sie suchten. Hae-Joo führte mich durch verwinkelte Gänge mit dezenten Eingängen und kryptischen Schildern zu einer einfachen Tür. In einer Nische blühte eine Tigerlilie. ‹Überlass das Reden mir›, sagte er, während er die Klingel betätigte. ‹Die kratzbürstige Dame will umschmeichelt werden.›
Die Tigerlilie bekam helle Streifen und fragte nach unserem Anliegen.
‹Wir haben einen Termin bei Madame Ovid›, antwortete Hae-Joo.
Die Blume beugte sich herunter, um uns in Augenschein zu nehmen, und bat uns zu warten.
Die Tür ging auf: ‹ Ich bin Madame Ovid›, sagte eine kalkweiße Frau, ‹und Sie haben keinen Termin.› Elixia hatte ihre strenge Schönheit vor langer Zeit auf Mitte zwanzig konserviert, aber ihre Stimme klang wie ein Reibeisen. ‹Unsere Biokosmetiker behandeln nur auf persönliche Empfehlung. Versuchen Sie es bei einem der so genannten Gesichtsspezialisten in den unteren Etagen.›
Die Tür wurde uns vor der Nase zugeschlagen.
Hae-Joo räusperte sich und sprach in die Tigerlilie. ‹Seien Sie bitte so liebenswürdig und richten Sie der bewundernswerten Madame Ovid freundliche Grüße von der gnädigen Frau Heem-Young aus.›
Es folgte eine Pause. Die Tigerlilie errötete und erkundigte sich, ob wir eine weite Reise gehabt hätten. Ich erkannte eine Folge von Passwörtern.
Hae-Joo vervollständigte den Code. ‹Wenn du weit genug reist, findest du dich selbst.›
Madame Ovid öffnete die Tür, strafte uns aber weiter mit Verachtung.

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