Der Wolkenatlas (German Edition)
war von Krebs befallen, Mephi und seine Zelle waren verhaftet worden und Xi-Li war tot.
Ma Arak Nas Zunge war doppelt so lang wie eine gewöhnliche; sie benutzte sie als Fliegenklatsche. Ihre Augen glühten in der Finsternis des Dachbodens. Sie fragte, wie weit der Krebs sich schon ausgebreitet habe. Hae-Joo antwortete, er sei gekommen, um genau das herauszufinden. Die Hausherrin bat uns in ihren Salon.
Salon?
Ein Kabuff hinter einer lauten Küche und einer falschen Wand, das von einem schwachen Solar beleuchtet wurde. Auf dem Rand einer schmiedeeisernen Kohlenpfanne, die älter als das Haus, vielleicht sogar älter als die ganze Stadt war, stand ein Becher mit Rubinlimettensaft. Wir nahmen auf zerschlissenen Kissen Platz. Hae-Joo kostete von dem Getränk und sagte, ich könne meine Kapuze jetzt abnehmen. Die holzvertäfelte Decke rumste und knarrte, eine Luke sprang auf und Ma Arak Na kam zum Vorschein. Sie sah mein Gesicht, äußerte aber keinerlei Überraschung.
Die uralte brummende Kohlenpfanne war mit einer xtrem modernen Elektronik ausgestattet. Eine Kugel aus Dunkelheit und Stille dehnte sich langsam aus, bis sie den ganzen Salon ausfüllte und den Küchenlärm verschluckte. Ein scheckiges Licht über der Kohlenpfanne nahm die Gestalt eines Karpfens an.
Karpfen wie der Fisch?
Ein numinoser, perlweiß-orange gefleckter, von Fischschimmel befallener Karpfen, einen halben Meter lang und mit Barthaaren wie eine Mandarinente. Der Fisch glitt mit einem trägen Schlag seiner Schwanzflosse auf mich zu. Die Wurzeln der Seerosen teilten sich. Seine alten Augen lasen in meinen; die Seitenflossen bewegten sich ganz leicht, damit er auf der Stelle schwimmen konnte. Der Karpfen ließ sich ein Stück nach unten sinken, um mein Halsband zu entziffern, und die Stimme eines alten Mannes sagte meinen Namen. Ich sah Hae-Joo an, aber er war durch das trübe Wasser kaum zu erkennen.
‹Ich bin überaus froh, euch zu sehen›, sagte die abgehackte, aber kultivierte 3D-Stimme, ‹und fühle mich tief geehrt, eure Bekanntschaft zu machen.› Der Karpfen stellte sich als An-Kor Apis von der Union vor und entschuldigte sich für den visuellen Mummenschanz; die Tarnung sei jedoch unumgänglich, da die Eintracht in dieser Nacht sämtliche Frequenzen überwachte.
Zögernd antwortete ich, ich hätte verstanden.
Schon bald würde ich noch viel mehr verstehen, versprach An-Kor Apis und bat um ein wenig Geduld. Dann wandte er sich meinem Begleiter zu, den er als Kommandant Im ansprach.
Hae-Joe meldete, dass Xi-Li die Euthanation erhalten hatte.
Apis war bereits informiert. Kein Anästhetikum auf der Welt hätte Hae-Joos Schmerz betäuben können, sagte er und erinnerte ihn daran, dass die Eintracht Xi-Li getötet hatte – Hae-Joo habe ihn lediglich von seinem Leiden erlöst. Seine Aufgabe sei es nun, dafür zu sorgen, dass Xi-Lis Opfer nicht umsonst gewesen war. Es folgte ein kurze Bestandsaufnahme: Sechs Zellen waren aufgeflogen, zwölf weitere hatten sich so weit abgeschottet, dass eine Kontaktaufnahme unmöglich war. Vorstand Mephi war es gelungen, sich vor Beginn der Folter das Leben zu nehmen. Zum Abschluss befahl der Karpfen Hae-Joo, das BZ durch Westtor Eins zu verlassen, mich im Konvoi Richtung Norden zu bringen und gründlich über seine Worte nachzudenken.
Der Karpfen schwamm einen Kreis, verschwand in der Wand des Salons und tauchte aus meiner Brust wieder auf. ‹Du hast deine Freunde klug gewählt, Sonmi›, sagte er. ‹Gemeinsam können wir Veränderungen herbeiführen, große Veränderungen, historische Veränderungen, die unsere Gesellschaft erneuern werden.› Er versprach mir, dass wir uns schon sehr bald wiedersehen würden.
Die dunkle Kugel schrumpfte in sich zusammen, und der Salon kam wieder zum Vorschein. Aus dem Karpfen wurde ein Lichtstrahl, ein Punkt; dann war er fort.
Wie wollte Hae-Joo einen BZ-Ausgang passieren? Ihr wart doch beide seelenlos.
Der Seelenimplantator wurde kurz darauf hereingeführt, ein schlanker, unscheinbarer Mann, der Hae-Joos aufgeschnittenen Zeigefinger mit fachmännischer Arroganz untersuchte. Er zog mit einer Pinzette ein winziges Etwas aus einem Gelpack, setzte es in die Wunde und besprühte den Finger mit Kutan. Ich war fassungslos, dass dieses unbedeutende Ding seinen Trägern alle Rechte des Konsumententums verleihen sollte, diejenigen, die keins besaßen, aber zu einer Xistenz in elender Sklaverei oder noch Schlimmerem verurteilte. ‹Dein neuer Name lautet Ok-Kyun
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