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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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simple Fragen. Wie ist er an die Macht gelangt? Wie benutzt er sie? Und wie kann man sie dem Schweinehund wieder entreißen?»
     
    50
     
    Judith Rey findet ihre Tochter im Arbeitszimmer ihres Mannes vor dem Fernseher. Luisa sieht die Nachrichten.
    «… Lesbe›, habe ich Anton Henderson sagen hören, und wenn er damit nicht dich gemeint hat, Cookie, weiß ich auch nicht … ich finde das überhaupt nicht witzig! Deine Aufsässigkeit wird immer schlimmer. Da stelle ich dir einen netten jungen Mann vor, weil du dich ständig über deine Einsamkeit beklagst, und du verschreckst ihn mit Hetzreden aus dem Spyglass .»
    «Wann habe ich mich je über Einsamkeit beklagt?»
    «Junge Männer wie die Hendersons fallen nicht vom Himmel, weißt du!»
    «Vogelscheiße fällt vom Himmel.»
    Es klopft, und Bill Smoke steckt den Kopf zur Tür herein. «Mrs.   Rey? Entschuldigen Sie bitte, dass ich einfach so hereinplatze, aber ich muss bald gehen. Hand aufs Herz, das war die schönste, bestorganisierte Benefizveranstaltung, die ich je erlebt habe.»
    Judith Rey zupft geschmeichelt an ihrer Frisur. «Ach, das ist aber nett …»
    «Herman Howitt, Juniorpartner bei Musgrove Wyeland, von unserem Büro in Malibu. Ich hatte nicht die Gelegenheit, mich vor dem vorzüglichen Dinner vorzustellen – ich bin derjenige, der sich erst heute Morgen angemeldet hat. Mein Vater, Gott hab ihn selig, verstarb vor gut zehn Jahren an Krebs – ich weiß nicht, wie meine Mutter und ich ohne den Beistand der Krebshilfe damit fertig geworden wären. Als Olly zufällig Ihre Benefizveranstaltung erwähnte, griff ich sofort zum Hörer und erkundigte mich, ob ich für jemanden einspringen könne, der kurzfristig absagen musste.»
    «Wir sind überaus froh darüber, herzlich willkommen in BuenasYerbas.» Ein bisschen kurz geraten , taxiert ihn Judith Rey, dafür muskulös, gutes Gehalt und wahrscheinlich unter fünfunddreißig. Juniorpartner klingt viel versprechend . «Ich hoffe, Mrs.   Howitt findet dasnächste Mal die Zeit, Sie zu begleiten.»
    Bill Smoke alias Herman Howitt lächelt schüchtern. «Leider ist die einzige Mrs.   Howitt meine Mutter. Bis jetzt.»
    «Ach, tatsächlich?», erwidert Judith Rey.
    Sein Blick heftet sich auf Luisa, die ihm keinerlei Beachtung schenkt. «Ich fand es sehr bewundernswert, wie couragiert Ihre Tochter vorhin für ihre Prinzipien eingetreten ist. Vielen aus der jungen Generation scheint es heutzutage an moralischen Grundwerten zu fehlen.»
    «Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Die Sechziger haben das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Luisas verstorbener Vater und ich haben uns vor Jahren getrennt, aber wir haben immer großen Wert darauf gelegt, in unserer Tochter ein Bewusstsein für Recht und Unrecht zu wecken. Luisa, Liebes! Würdest du dich bitte für einen Moment vom Fernseher losreißen? Was soll Herman denn von dir denken – Luisa? Cookie, was ist denn?»
    Der Nachrichtensprecher sagt mit sonorer Stimme: «Wie die Polizei bestätigte, befand sich unter den zwölf Opfern, die heute Morgen bei der Explosion eines Lear-Jets über den Alleghenies ums Leben kamen, auch Alberto Grimaldi, Vorstandschef der Seaboard Power und Amerikas höchstbezahlter Manager. Nach dem vorläufigen Ermittlungsstand geht die Bundesluftfahrtbehörde davon aus, dass die Explosion von einer defekten Treibstoffanlage verursacht wurde. Die Wrackteile wurden in einem Umkreis von mehreren Quadratkilometern verstreut …»
    «Luisa?» Judith Rey kniet sich neben ihre Tochter, die entgeistert auf die Bilder von verbogenen Flugzeugteilen auf einem Berghang starrt.
    «Wie … entsetzlich !» Bill Smoke lässt sich den Festschmaus, dessen Zutaten nicht einmal er, der Küchenchef, vollständig aufzählen kann, auf der Zunge zergehen. «Kannten Sie etwa eine dieser armen Seelen, Miss Rey?»
     
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    Montagmorgen. In der Spyglass -Redaktion kocht die Gerüchteküche. Der eine sagt, die Zeitschrift sei pleite, der Nächste, der Eigentümer Kenneth P. Ogilvy wolle das Blatt versteigern, andere behaupten, die Bank sei zu einem weiteren Kredit bereit beziehungsweise die Bank wolle den Geldhahn zudrehen. Niemand weiß, dass Luisa vor vierundzwanzig Stunden einem Mordanschlag entgangen ist. Sie will weder ihre Mutter noch Grelsch da mit hineinziehen, und bis auf die Prellungen kommt ihr das Ganze immer unwirklicher vor.
    Obwohl sie ihn kaum kannte, empfindet Luisa den Tod von Isaac Sachs als schmerzlichen, persönlichen Verlust. Außerdem hat sie

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