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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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werde seine Ehre und die Ehre des bedeutenden amerikanischen Unternehmens gegen «diesen Haufen schamloser Lügen» verteidigen. Inzwischen hat sich auch Präsident Ford in die Affäre eingeschaltet. Auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus distanzierte sich Ford mit harschen Worten von seinem Exminister, den sein Vorgänger Nixon ins Amt geholt hatte. «Bei Kriminellen kennt mein Kabinett keine Unterschiede. Wir werden die Verbrecher, die Amerikas Wirtschaft in Verruf bringen, dingfest machen und mit äußerster Gesetzeshärte bestrafen.»
Lloyd Hooks’ Verschwinden, das von zahlreichen Beobachtern als Schuldgeständnis gewertet wird, ist die jüngste Wende in einer Kette von Enthüllungen, die durch einen Vorfall im Yachthafen von Kap Yerbas ausgelöst wurde. Dort war es am 4. September zu einem tödlichen Schusswechsel zwischen Joe Napier und Bill Smoke gekommen, zwei Sicherheitskräften des zum Seaboard-Konzern gehörenden, umstrittenen Kernkraftwerks auf Swannekke Island. Die Polizei, die von Augenzeugin Luisa Rey, Mitarbeiterin dieser Zeitung, zum Tatort gerufen wurde, nahm sofort die Ermittlungen auf. Diese erstrecken sich inzwischen auch auf die Ermordung des britischen Atomwissenschaftlers und ehemaligen Seaboard-Beraters Dr.   Rufus Sixsmith im vergangenen Monat, den Absturz eines Lear-Jets über Colorado vor zwei Wochen, bei dem der vormalige Seaboard-Chef Alberto Grimaldi ums Leben kam, sowie eine Explosion in der Third Bank of Colorado im Zentrum von BY, die zwei Menschenleben forderte. Im Zusammenhang mit der Verschwörung wurde gegen fünf Vorstandsmitglieder des Seaboard-Konzerns Anklage erhoben, zwei von ihnen begingen inzwischen Selbstmord. Die anderen drei, darunter Vorstands-Vize William Wiley, haben eingewilligt, gegen Seaboard auszusagen.
Lloyd Hooks’ Verhaftung vor zwei Tagen rechtfertigt einmal mehr die Unterstützung, die diese Zeitung Luisa Rey beim Aufdecken dieses ungeheuerlichen Skandals gab. Wiley hatte Reys Enthüllungsbericht zunächst als «verleumderisches Hirngespinst» und «Abklatsch eines schlechten Spionageromans» abgetan, der keine ernsthafte Stellungnahme verdiene. Weiter S.   2, Die Hintergründe S.   5, Kommentar S.   11.
     
    «Titelseite!» Bart schenkt Luisa Kaffee ein. «Lester wäre mächtig stolz gewesen.»
    «Er hätte gesagt, ich sei nur eine Journalistin, die ihre Pflicht tut.»
    «Eben.»
    Seaboardgate ist nicht mehr Luisas Exklusivstory. Auf Swannekke wimmelt es von Reportern, Ermittlungsbeamten der Regierung, FBI-Agenten, Polizisten und Drehbuchautoren aus Hollywood. Swannekke B wurde stillgelegt, Swannekke C bis auf weiteres abgeschaltet.
    Luisa holt noch einmal Javiers Ansichtskarte hervor. Vorne sind drei UFOs abgebildet, die unter der Golden Gate Bridge hindurchsausen.
     
Hi Luisa, ist ganz nett hier, aber wir haben jetzt ein eigenes Haus, und ich kann nicht mehr über die Balkons springen, wenn ich Freunde besuchen will. Paul (das ist Wolfmann, aber Mom sagt, ich darf ihn nicht mehr so nennen, obwohl er es irgendwie gut findet) geht morgen mit mir zu einer Briefmarkenmesse, danach darf ich mir die Wandfarbe für mein Zimmer aussuchen, und besser kochen als Mom kann er auch. Hab dich gestern Abend wieder im Fernsehen gesehen und in der Zeitung. Vergiss mich nicht, bloß weil du jetzt berühmt bist, ja? Javi
     
    Außerdem ist ein Päckchen von Megan Sixsmith gekommen, um das Luisa sie gebeten hatte. Es enthält die letzten acht Briefe, die Robert Frobisher an seinen Freund Rufus Sixsmith schrieb. Luisa schneidet das Päckchen mit einem Plastikmesser auf. Sie nimmt einen vergilbten Briefumschlag heraus, der am 10. Oktober 1931 abgestempelt wurde, hält ihn unter die Nase und atmet tief ein. Wirbeln die Moleküle von Château Zedelghem, von Robert Frobishers Hand, die vierundvierzig Jahre lang auf diesem Papier geschlummert haben, jetzt durch meine Lunge, mein Blut?
    Wer vermag das zu sagen?

Briefe aus Zedelghem
    Zedelghem
    10-X-1931
     
    Sixsmith,
    Ayrs seit drei Tagen im Bett, benebelt vom Morphium, schreit vor Schmerzen. Überaus störend und bedrückend. Dr.   Egret warnt J. und mich, wir dürfen Ayrs’ neue joie de vivre in der Musik nicht mit seinem wahren Gesundheitszustand verwechseln, und verbietet   V. A., von seinem Krankenlager aus zu arbeiten. Dr.   Egret ist mir nicht geheuer. Bin noch keinem Quacksalber begegnet, den ich nicht ½ des Vorhabens verdächtigt hätte, mich auf möglichst kostspielige Weise um die Ecke zu

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