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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Capriolen mit einem Sprung über Bord krönte. Ich zog mich in Henrys Kajüte zurück, u. wir lasen zusammen das zweite Capitel Matthäus.
    Das Essen verursachte heftigen Aufruhr in meinen Gedärmen u. machte häufige Gänge zum Abort im Bug nöthig. Bei meinem letzten Besuche stand Rafael vor der Thür. Ich entschuldigte mich dafür, daß er hatte warten müssen, aber der Junge erwiderte, nein, er habe diese Begegnung ganz bewußt gesucht. Er beichtete mir, daß etwas seine Seele belaste, u. stellte mir folgende Frage: «Gott erhört einen doch, wenn’s einem leid thut … ganz gleich, was man gemacht hat, er schickt einen nicht … Sie wissen schon …», hier flüsterte der Schiffsjunge beinahe, «… in die Hölle?»
    Ich muß zugeben, meine Gedanken waren mehr auf meine Verdauung denn auf die Theologie gerichtet, u. so platzte ich damit heraus, daß er bei seinen wenigen Jahren wohl kaum ein Conto mit Todsünden angehäuft haben könne. Die Sturmlaterne schwang u. ich sah, wie Verzweiflung das Gesicht des tapferen Jungen entstellte. Meine Leichtfertigkeit bedauernd, betheuerte ich ihm, daß die Gnade des Allmächtigen fürwahr unendlich sei, denn es wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße thut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen . Ich frug, ob er sich mir anvertrauen wolle, sei es als Freund, als gleichfalls Verwaistem oder als einem verhältnißmäßig Fremden? Mir sei aufgefallen, fuhr ich fort, wie niedergedrückt er in letzter Zeit wirke, u. beklagte, wie sehr der vergnügte Junge sich gewandelt habe, der, begierig, die weite Welt zu sehen, in Sydney an Bord gekommen sei. Bevor er seine Antwort formulieren konnte, zwang mich erneuter Druck in meinen Därmen zurück auf den Abort. Als ich wieder heraustrat, war Rafael verschwunden. Ich werde ihn in dieser Sache nicht weiter bedrängen. Der Junge weiß, wo er mich finden kann.
     
    Später ~
     
    Eben hat die erste Wache sieben Glasen geschlagen. Der Wurm peinigt meinen Schädel, als schlüge ein Klöppel gegen die Hirnschale. (Bekommen Ameisen Kopfweh? Mit Freuden ließe ich mich in eine Ameise verwandeln, nur um von diesen entsetzlichen Qualen befreit zu sein.) Wie Henry u. andere bei den lärmenden Ausschweifungen u. gotteslästerlichen Liedern schlafen können, weiß ich nicht, aber ich beneide sie zutiefst.
    Ich schnupfte etwas von dem Wurmmittel, doch es verschafft mir keine Aufmunterung mehr. Es hülft lediglich, daß ich mich halbwegs auf dem Posten fühle. Anschließend unternahm ich einen Rundgang auf Deck, aber der Davidstern war von dichten Wolken verhüllt. Ein paar Nüchterne (unter ihnen Autua) riefen aus der Takelage, u. Mr.   Green am Ruder versicherte mir, daß nicht die ganze Mannschaft «sternhagelvoll» sei. Leere Flaschen rollten mit dem Seegang zwischen Back- u. Steuerbord hin u. her. Ich stieß auf einen bewußtlosen Rafael, der zusammengerollt am Ankerspill lag. Seine verderbte Hand umklammerte einen leeren Zinnkrug, seine nackte Brust war mit ockerbraunen Spritzern besudelt. Daß der Junge seinen Trost im Alcohole statt bei seinem Freunde in Christo gefunden hatte, stimmte mich noch düsterer.
    «Stören Schuldgefühle Ihre Ruhe, Mr.   Ewing?» fragte ein böser Geist neben meiner Schulter, u. ich ließ meine Pfeife fallen. Es war Boerhaave. Ich versicherte dem Holländer, daß mein Gewissen gänzlich unbelastet sei, wohingegen ich bezweifelte, daß er selbiges von seinem behaupten könne. Boerhaave spuckte grinsend über Bord. Wären ihm Fangzähne u. Hörner gewachsen, es hätte mich nicht gewundert. Er warf sich Rafael über die Schulter, gab dem Schiffsjungen einen Klaps auf den Hintern u. trug die schläfrige Last zur hinteren Luke, um, so hoffe ich, weiteren Schaden von ihm fernzuhalten.
     
    2. Weihnachtstag ~
     
    Der gestrige Eintrag verurtheilt mich für den Rest meines Daseins zu Gefangenschaft in Reue. Wie ekelhaft sich das liest, wie gedankenlos ich doch gewesen bin! Ach, mir ist ganz elend, diese Worte zu notieren. Rafael hat sich erhängt. Erhängt, indem er eine Schlinge über die untere Rahnock des Großmastes legte. Er erklomm seinen Galgen zwischen dem Ende seiner Wache u. dem ersten Glasen. Das Schicksal wollte es, daß ich unter denen war, die ihn entdeckten. Ich lehnte gerade über dem Schanzkleide, denn der Wurm verursacht Anfälle von Übelkeit, während er ausgetrieben wird. Im blauen Halblichte hörte ich einen Schrei u. sah Mr.   Roderick

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