Der Wolkenatlas (German Edition)
Sah ein junges Mädchen über einen Hügel reiten, auf dessen Kuppe eine einsame Buche thronte. Fuhr an einem Gärtner vorbei, der in einem Gemüsegarten Ruß gegen Nacktschnecken ausstreute. Im Vorhof reinigte ein muskelbepackter Diener den Vergaser eines Cowley Flatnose. Als er mich erblickte, richtete er sich auf und wartete. Auf einer Terrasse am Rand dieses Stillebens saß unter einer üppig blühenden Glyzinie ein Mann im Rollstuhl und hörte Radio. Vyvyan Ayrs, nahm ich an. Der leichte Teil meines Traums war vorüber.
Lehnte das Fahrrad an die Mauer, erklärte dem Diener, ich hätte Geschäftliches mit seinem Herrn zu besprechen. Er verhielt sich recht zuvorkommend, führte mich zu Ayrs’ Terrasse und meldete auf deutsch meine Ankunft. Ayrs eine mumienhafte Gestalt, als hätte die Krankheit ihm alle Säfte entzogen, hielt mich aber zurück, auf dem Schlackenweg niederzuknien wie Parzival vor König Artus. Die Ouvertüre verlief ungefähr so: «Guten Tag, Mr. Ayrs.»
«Wer sind Sie, zum Teufel?»
«Es ist mir eine große Ehre, Sie …»
«Ich habe gefragt, wer Sie sind .»
«Robert Frobisher, Sir, aus Saffron Walden. Ich bin – ich war – ein Student von Sir Trevor Mackerass am Caius College, und ich bin den weiten Weg von London gekommen, um …»
«Den weiten Weg von London mit dem Fahrrad?»
«Nein. Das Fahrrad habe ich mir von einem Polizisten in Brügge geliehen.»
«Tatsächlich?» Denkpause. «Muß Stunden gedauert haben.»
«Ich tat es aus Liebe, Sir. Wie ein Pilger, der auf den Knien einen Berg erklimmt.»
«Was soll dieser Kokolores?»
«Ich wollte mich als ernsthafter Bewerber erweisen.»
«Ernsthafter Bewerber wofür?»
«Die Stelle als Ihr Assistent.»
«Sind Sie wahnsinnig?»
Immer kitzliger, als sie erscheint, diese Frage. «Das bezweifle ich.»
«Moment mal, ich habe nicht nach einem Assistenten gesucht!»
«Ich weiß, Sir, aber Sie benötigen einen, auch wenn Sie es vielleicht noch nicht wissen. In dem Artikel in der Times stand, Sie seien aufgrund Ihrer Krankheit nicht mehr in der Lage zu komponieren. Ich darf nicht zulassen, daß Ihre Musik verlorengeht. Sie ist viel, viel zu kostbar. Deshalb bin ich gekommen, um Ihnen meine Dienste anzubieten.»
Immerhin entließ er mich nicht sofort. «Wie war doch gleich Ihr Name?» Ich sagte es ihm. «Einer von Mackerras’ Senkrechtstartern, was?»
«Offen gesagt, Sir, er konnte mich nicht ausstehen.»
Wie Du aus bitterer Erfahrung weißt, kann ich sehr faszinierend sein, wenn ich es darauf anlege.
«Ach, tatsächlich? Woran mag das liegen?»
«Ich bezeichnete sein 6. Flötenkonzert in der Collegezeitung als», ich räusperte mich, «zutiefst schwülstiges Exempel seiner sklavischen Verehrung des vorpubertären Saint-Saëns. Er nahm es persönlich.»
« Das haben Sie über Mackerass geschrieben?» Ayrs keuchte, als würde ihm jemand die Rippen zersägen. «Das hat er persönlich genommen. Darauf können Sie sich verlassen!»
Die Fortsetzung ist kurz. Der Diener führte mich in einen in schimmernden Grüntönen gehaltenen Salon mit zwei Gemälden: einem langweiligen Farquharson mit Schafen und Getreidegarben und einer mittelmäßigen niederländischen Landschaft. Ayrs rief seine Frau, Mrs. Van Outryve de Crommelynck, herbei. Sie hat ihren Mädchennamen behalten, und wer kann es ihr verdenken? Die Dame des Hauses war unterkühlt höflich und befragte mich nach meiner Herkunft. Antwortete wahrheitsgemäß, obwohl ich meinen Verweis vom Caius mit einem obskuren Leiden kaschierte. Über meine finanziellen Nöte sagte ich kein Sterbenswörtchen – je aussichtsloser der Fall, desto widerwilliger der Spender. Versprühte reichlich Charme. Es wurde vereinbart, daß ich zumindest über Nacht auf Zedelghem blieb. Am Morgen wollte Ayrs meinem musikalischen Können auf den Zahn fühlen, um dann über meinen Vorschlag zu entscheiden.
Ayrs erschien jedoch nicht zum Abendessen. Meine Ankunft fiel mit dem Beginn einer vierzehntäglich auftretenden Migräne zusammen, die ihn für ein bis zwei Tage an seine Privaträume fesselt. Mein Probespiel ist aufgeschoben, bis es ihm bessergeht, mein Schicksal hängt also weiter in der Schwebe. Für die ganze Sache spricht, daß der Piesporter und der Hummer à l’américaine dem Imperial in nichts nachstanden. Ermutigte meine Gastgeberin zum Reden – sie schien geschmeichelt, weil ich so gut über ihren berühmten Gatten Bescheid weiß, und spürte meine aufrichtige Liebe für die Musik. Ach,
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