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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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wir aßen übrigens mit Ayrs’ Tochter, der jungen Reiterin, die ich kurz zuvor gesehen hatte. Mlle. Ayrs ist eine Pferdenärrin von siebzehn Jahren mit der Stupsnase ihrer Mutter. Bekam den ganzen Abend lang nicht ein höfliches Wort aus ihr heraus. Ob sie mich für einen ruchlosen englischen Nassauer in einer Pechsträhne hält, der ihren kränklichen Vater zu einer letzten, alles krönenden Schaffensperiode verleiten will und sie von ihrem Platz verdrängt?
    Menschen sind kompliziert.
    Nach Mitternacht. Das Schloß schläft, und ich muß auch …
    Dein
    R. F.
    ◆ ◆ ◆
    Zedelghem
    6-VII-1931
     
    Ein Telegramm, Sixsmith? Du Trottel .
    Ich flehe Dich an, schick keine mehr – Telegramme erregen Aufmerksamkeit! Ja, ich bin noch im Ausland, ja, sicher vor Brewers Schlägern. Zerreiß die Bitte meiner Eltern, meinen Aufenthaltsort preiszugeben, und wirf sie in die Cam. Pater ist nur deshalb «betroffen», weil meine Gläubiger versuchen, ein paar Banknoten aus dem Stammbaum zu schütteln. Ein enterbter Sohn muß seine Schulden hingegen selbst begleichen – glaub mir, ich habe in den Gesetzbüchern nachgeschlagen. Mater ist nicht «verzweifelt». Allein die Aussicht auf eine leere Karaffe könnte Mater in Verzweiflung stürzen.
    Mein Probespiel fand in Ayrs’ Musikzimmer statt, vorgestern, nach dem Mittagessen. Kein überwältigender Erfolg, um es milde auszudrücken – höchst ungewiß, wie lange ich noch hier sein werde, oder wie kurz. Muß zugeben, daß mich bei dem Gedanken, auf Vyvyan Ayrs’ Klavierhocker Platz zu nehmen, ein leichter Schauer überkam. Der orientalische Teppich, der angeschlagene Diwan, die mit Notenständern vollgestopften bretonischen Schränke, der Bösendorfer, das Carillon, all das bezeugte Empfängnis und Geburt der Matrioschka-Variationen und seines Liederzyklus Gesellschaftsinseln . Strich über das Cello, dessen Saiten als 1. vom Solokonzert Untergehen in Schwingung versetzt wurden. Als ich hörte, wie Hendrick seinen Herrn auf das Zimmer zuschob, stellte ich das Schnüffeln ein und wandte mich zur Tür. Ayrs überging mein «Ich hoffe sehr, Sie haben sich erholt, Mr.   Ayrs» und entließ seinen Kammerdiener mit der Bitte, ihn vor das Fenster zum Garten zu schieben. «Nun?» fragte er, nachdem wir eine ½ Minute allein gewesen waren. «Machen Sie weiter. Beeindrucken Sie mich.» Fragte ihn, was er hören wolle. «Das Programm muß ich auch noch aussuchen? Also schön, können Sie Drei blinde Mäuse ?»
    Gehorchte der syphilitischen Grille, setzte mich an den Bösendorfer und spielte das Kinderlied in der Manier eines sarkastischen Prokofjew. Ayrs schwieg. Fuhr ein wenig feinfühliger mit Chopins Nocturne in F-Dur fort. Er unterbrach mich jammernd: «Wollen Sie mich mit Schmalz becircen, Frobisher?» Spielte sein eigenes Stück Abwandlungen eines Themas von Lodovico Roncalli , doch nach nicht einmal 2 Takten stieß er einen Fluch aus, für den es auf dem Internat sechs Hiebe gesetzt hätte, schlug mit seinem Stock auf den Boden und rief: «Selbstbefriedigung macht blind, hat man Ihnen das am Caius nicht beigebracht?» Spielte unbeirrt weiter und beendete das Stück fehlerfrei . Als feuriges Finale riskierte ich Scarlattis 212. in A-Dur, ein Schreckgespenst aus Arpeggios und Fingerakrobatik. Griff ein-, zweimal daneben, aber bewarb mich schließlich nicht als Konzertpianist. Als ich geendet hatte, schwang   V. A.s Kopf weiter im Takt der verklungenen Sonate; vielleicht dirigierte er auch die verschwommenen, sich wiegenden Pappeln. «Abscheulich, Frobisher, verlassen Sie auf der Stelle mein Haus!» hätte mich gekränkt, aber nicht sonderlich überrascht. Statt dessen räumte er ein: «Vielleicht haben Sie doch das Zeug zum Musiker. Heute ist ein schöner Tag. Machen Sie einen Spaziergang zum See und schauen Sie sich die Enten an. Ich brauche, ach, ein wenig Zeit , um zu entscheiden, ob ich für Ihre … Talente Verwendung finden kann.»
    Ging ohne ein Wort. Scheint so, als will mich der alte Ziegenbock, aber nur, wenn ich vor Dankbarkeit im Staub krieche. Hätte meine Brieftasche die Abreise erlaubt, ich hätte mir eine Droschke nach Brügge bestellt und meinen irrigen Plan aufgegeben. Er rief mir nach: «Ein Rat noch, Frobisher, gratis . Scarlatti war Cembalist, kein Pianist. Ertränken Sie ihn nicht mit zu viel Klangfarbe, und setzen Sie nicht das Pedal ein, um Töne zu halten, die Sie nicht mit den Fingern halten können.» Ich rief zurück, ich bräuchte, ach, ein wenig

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