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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Zeit , um zu entscheiden, ob ich für Ayrs’ … Talent Verwendung finden könne.
    Überquerte den Hof, wo ein rotgesichtiger Gärtner einen verstopften Springbrunnen von Unkraut befreite. Gab ihm zu verstehen, daß ich mit seiner Herrin zu sprechen wünsche, und pronto – er ist nicht der Hellste im Oberstübchen – deutete er flüchtig in Richtung Neerbeke und machte mit den Händen ein Lenkrad nach. Hervorragend. Und was nun? Mir die Enten anschauen, warum nicht? Hatte nicht übel Lust, einem Paar den Hals umzudrehen und es in   V. A.s Kleiderschrank zu hängen. So düstrer Stimmung. Also quakte ich wie eine Ente und fragte den Gärtner: «Wo?» Er zeigte auf die Buche und bedeutete mir mit einer Geste, dort entlang, gleich hinter dem Hügel. Ich machte mich auf den Weg, sprang über ein verwahrlostes Aha, doch bevor ich den Kamm erreichte, hörte ich galoppierende Pferdehufe, und Miss Eva van Outryve de Crommelynck – von nun an muß ein schlichtes Crommelynck genügen, sonst geht mir die Tinte aus – preschte auf ihrem schwarzen Pony auf mich zu.
    Ich grüßte sie. Sie kanterte provozierend gleichgültig um mich herum, wie Königin Boudicca. «Wie feucht die Luft heute ist», plauderte ich sarkastisch. «Ich glaube gar, wir bekommen noch Regen, meinen Sie nicht auch?» Sie schwieg. «Ihre Dressur ist makelloser als Ihre Manieren», eröffnete ich ihr. Nichts. Auf den Feldern krachten Gewehrschüsse, und Eva beruhigte ihr Pferd. Das Tier trifft keine Schuld – ein wahres Prachtexemplar. Ich fragte Eva nach seinem Namen. Sie strich sich die schwarzen Korkenzieherlocken aus dem Gesicht. «J’ai nommé le poney Néfertiti, d’après cette reine d’Égypte qui m’est si chère» und machte kehrt. «Es kann sprechen!» rief ich und sah zu, wie das Mädchen davongaloppierte, bis es nur noch eine Miniatur in einer van-dyckschen Landschaft war. Feuerte ihr in eleganten Parabeln Artilleriegranaten hinterher. Richtete meine Geschütze auf Château Zedelghem und zerlegte Ayrs’ Flügel in rauchende Trümmer. Erinnerte mich, in welchem Land ich mich befand, und stellte das Feuer ein.
    Hinter der gespaltenen Buche fällt die Weide sanft ab bis zu einem Zierteich mit quakenden Fröschen. Hat schon bessere Zeiten gesehen. Ein schwankender Steg verbindet das Ufer mit einer Insel, Flamingoblumen blühen in enormer Zahl. Ab und zu schimmern Goldfische im Wasser auf wie neue Pennies. Schnurrbärtige Mandarinenten schreien nach Brot, feingekleidete Bettler – fast so wie ich. Mauerschwalben nisten in einem Bootshaus aus geteerten Brettern. Unter einer Reihe Birnbäume – ein ehemaliger Obstgarten? – legte ich mich nieder und gab mich dem Müßiggang hin, eine Kunst, die ich während meiner langen Genesung vervollkommnet habe. Ein Müßiggänger und ein Faulpelz unterscheiden sich in gleichem Maße wie ein Schlemmer und ein Vielfraß. Beobachtete das zarte Glück der Libellenpaare. Hörte sogar ihren Flügelschlag, ein ekstatisches Geräusch wie flatterndes Papier zwischen Fahrradspeichen. Sah eine Blindschleiche, die bei den Wurzeln meines Baumes ein Liliputamazonien erkundete. Stumm? Nein, ganz und gar nicht. Viel später von den ersten Regentropfen geweckt. Quellwolken türmten sich unheilvoll auf. Rannte schneller, als ich jemals wieder laufen werde, zum Schloß zurück, während der tosende Donner in meinen Gehörgängen hallte und die 1. dicken Tropfen wie Xylophonklöppel gegen mein Gesicht hämmerten.
    Hatte gerade noch Zeit, mein einziges sauberes Hemd anzuziehen, bevor der Gong zum Abendessen ertönte. Mrs.   Crommelynck entschuldigte sich vielmals, aber der Appetit ihres Mannes sei noch zu geschwächt und Demoiselle bevorzuge, allein zu speisen. War mir mehr als recht. Geschmorter Aal, Kerbelsoße, Regen prasselte auf die Terrasse. Anders als bei den Frobishers und den meisten anderen britischen Familien, die ich kenne, werden die Mahlzeiten im Schloß nicht schweigend eingenommen, und Mme. C. erzählte mir ein wenig von ihrer Familie. Die Crommelyncks leben schon seit jener längst vergangenen Zeit in Zedelghem, als Brügge noch Europas verkehrsreichster Seehafen war (kaum zu glauben, aber so sagte sie), d.   h., Eva ist die krönende Zier einer 600jährigen Fortpflanzungsgeschichte. Die Frau wurde mir ein wenig sympathischer, ich gebe es zu. Sie schwingt Reden wie ein Mann und raucht nach Myrrhe duftende Zigaretten aus einer Rhinozeroshornspitze. Allerdings würde sie sehr rasch bemerken, wenn

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