Der Wolkenatlas (German Edition)
sagt, sie habe sich so darauf konzentriert, ihrer Tochter ein Gefühl für Anstand beizubringen, daß sie niemals Freunde geworden seien, und nun, befürchtet sie, sei es wohl zu spät. Döste über diesen trivialen Tragödien ein, werde mich aber in Zukunft vor Dänen hüten, insbesondere vor dänischen Bordellen.
J. verlangte eine 2. Runde, als wollte sie sich an mich heften. Erhob keinen Einspruch. Sie hat den Körper einer Reiterin, geschmeidiger, als man ihn sonst bei reifen Frauen findet, und mehr technische Finesse als so manche Zehnshillingstute, die ich geritten habe. Die Liste der jungen Hengste, die in ihrem Futtertrog stöbern durften, ist, möchte man vermuten, ausgesprochen lang. Und tatsächlich, gerade als ich zum letzten Mal einnickte, sagte sie: «Debussy verbrachte einmal eine Woche auf Zedelghem, vor dem Krieg. Wenn mich nicht alles täuscht, schlief er sogar in diesem Bett.» Ein leiser Unterton in ihrer Stimme deutete an, daß sie mit ihm zusammen war. Durchaus möglich. Alles, was einen Rock trägt, hörte ich über Claude, und schließlich war er Franzose.
Als Lucille am Morgen mit meinem Rasierwasser kam, war ich allein. Zu meiner Erleichterung war J.s Vorstellung am Frühstückstisch ebenso nonchalant wie meine. Erntete sogar eine leicht bissige Bemerkung, als ich Konfitüre auf mein Platzdeckchen kleckerte, wofür V. A. sie sofort rügte: «Hör auf zu sticheln, Jocasta! Deine zarten Hände müssen den Fleck nicht auswaschen.» Der Ehebruch ist ein Duett voller Tücken, Sixsmith – wie beim Kontraktbridge muß man Partner meiden, die ungeschickter sind als man selbst, sonst landet man in einem gräßlichen Schlamassel.
Gewissensbisse? Keine. Triumph über den gehörnten Ehemann? Nicht besonders, nein. Höchstens immer noch sehr verärgert über Ayrs. Neulich abend waren die Dhondts zu Besuch, und Mrs. Dhondt bat um etwas Klaviermusik, damit das Essen besser rutsche. Also spielte ich den Engel von Mons , das Stück, das ich vorletzten Sommer schrieb, als ich mit Dir auf den Scilly-Inseln war, allerdings verleugnete ich die Urheberschaft, indem ich vorgab, «ein Freund» habe es komponiert. Ich habe es umgeschrieben. Es ist fließender, raffinierter und besser als die blubberwassersüßen schubertschen Pastiches, die V. A. in seinen Zwanzigern ausspuckte. J. und den Dhondts gefiel es so gut, daß sie eine Zugabe forderten. Hatte gerade 6 Takte gespielt, als V. A. ungewohnt heftig Einspruch erhob. «Ich möchte Ihrem Freund raten, erst die Alten zu meistern, bevor er sich an den Modernen austobt.» Klingt das etwa wie ein gutgemeinter Rat? Jedenfalls setzte er das «Freund» exakt einen Halbton höher, was mir verriet, daß ihm die wahre Identität des Komponisten nur allzu bekannt war. Ob er bei Grieg in Bergen den gleichen Trick angewandt hat? «Ohne eine gründliche Beherrschung von Kontrapunkttechnik und Harmonielehre», schnaufte V. A., «wird der Knabe es nicht weiter bringen als bis zum Marktschreier für alberne Effekthascherei. Richten Sie das Ihrem Freund von mir aus.» Ich kochte still vor mich hin. V. A. bat J., eine Grammophonaufnahme seines Scirocco-Quintetts aufzulegen. Sie gehorchte dem gehässigen alten Tyrannen. Um mich zu trösten, dachte ich an J.s Körper unter ihrem Sommerkleid aus Crêpe de Chine und an die Gier, mit der sie in mein Bett schlüpft. Na schön, werde mich ein wenig an den Hörnern ergötzen, die ich meinem Arbeitgeber aufgesetzt habe. Geschieht ihm nur recht. Ein Wichtigtuer bleibt ein Wichtigtuer, auch wenn er alt und krank ist.
Augustowski schickte nach der Uraufführung in Krakau ein rätselhaftes Telegramm. Aus dem Französischen übersetzt, lautet es: ERSTER TODTENVOGEL VERWIRRUNG STOP ZWEITE AUFFÜHRUNG RAUFEREI STOP DRITTE BEWUNDERUNG STOP VIERTE STADTGESPRÄCH STOP. Wir wußten nicht recht, was wir davon halten sollten, bis kurz darauf einige Zeitungsausschnitte eintrafen, die Augustowski auf der Rückseite eines Konzertprogramms übersetzt hatte. Tja, unser Todtenvogel ist zu einer Cause célèbre geworden! Wie es aussieht, deuten die Kritiker die Auflösung der Wagnerschen Themen als frontalen Angriff auf die Weimarer Republik. Eine Gruppe nationalistischer Parlamentarier nötigte die Festivalleitung unter Gewaltandrohung zu einer 5. Aufführung. Das Theater willigte, weitere Einnahmen im Blick, mit Freuden ein. Der deutsche Botschafter legte offiziell Beschwerde ein, worauf eine 6. innerhalb von vierundzwanzig Stunden
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