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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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meines Haars, die sich in der Weste verfangen hatte.
    Wies sie weder ab, noch ermutigte ich sie. Solche Dinge darf man nicht überstürzen. Mrs.   Crommelynck ging ohne ein weiteres Wort.
    Beim Mittagessen erzählte Hendrick, im Haus von Doktor Egret in Neerbeke sei eingebrochen worden. Zum Glück wurde niemand verletzt, aber die Polizei hat die Warnung ausgegeben, nach Zigeunern und Halunken Ausschau zu halten. Häuser sollen nachts fest verschlossen werden. Jocasta erschauerte und äußerte Erleichterung, daß ich auf Zedelghem sei, um sie zu beschützen. Erwiderte, ich hätte mich in Eton zwar als Faustkämpfer hervorgetan, ob ich aber in der Lage sei, eine ganze Gaunerbande zu erledigen, müsse ich doch bezweifeln. Könne ich statt dessen nicht Hendrick das Handtuch halten, während er ihnen eine kräftige Tracht Prügel verabreichte? Ayrs enthielt sich eines Kommentars, doch beim Abendessen wickelte er eine Luger aus seiner Serviette. Jocasta rügte ihn, weil er bei Tisch seine Pistole zeigte, aber er ging nicht darauf ein. «Bei unserer Rückkehr aus Göteborg fand ich diese kleine Bestie unter einer losen Holzdiele im Schlafzimmer, samt Patronen», erklärte er. «Der preußische Hauptmann hat sie entweder in der Eile vergessen, oder er ist gefallen. Vielleicht hat er sie dort als Sicherheit gegen Meuterer oder unerwünschte Eindringlinge verstaut. Aus demselben Grund bewahre ich sie neben meinem Bett auf.»
    Fragte, ob ich sie in die Hand nehmen dürfe, da ich bisher nur Jagdgewehre angefaßt hätte. «Selbstverständlich», antwortete Ayrs und gab sie mir. Jedes einzelne Haar an meinem Körper stellte sich auf. Dieser hübsche eiserne Genosse hat mindestens einmal getötet, darauf würde ich mein Erbe verwetten, wenn ich noch eines hätte. «Sie sehen also», sagte Ayrs mit schiefem Lachen, «ich mag zwar ein alter, blinder Krüppel sein, aber ich habe noch ein, zwei Zähne, mit denen ich zubeißen kann. Ein Blinder mit Pistole und sehr wenig zu verlieren. Stellen Sie sich die Schweinerei vor, die ich damit anrichten könnte!» Bin unsicher, ob ich mir den drohenden Unterton in seiner Stimme nur eingebildet habe.
    Ausgezeichnete Neuigkeiten von Jansch, aber behalte für Dich, daß ich das gesagt habe. Werde Dir die drei genannten Bände schicken, wenn ich das nächste Mal nach Brügge fahre – der Postamtsvorsteher hier in Neerbeke hat eine neugierige Ader, der ich mißtraue. Halte Dich an die üblichen Vorsichtsmaßnahmen. Überweise das Geld an die 1. Belgische Bank, Hauptgeschäftsstelle, Brügge – Dhondt brauchte bloß mit dem Finger zu schnipsen, und schon eröffnete mir der Direktor ein Konto. Nur ein Robert Frobisher in ihrer Kartei, da bin ich mir ziemlich sicher.
    Die beste Neuigkeit von allen: Habe wieder angefangen, Eigenes zu komponieren.
    Dein
    R. F.
    ◆ ◆ ◆
    Zedelghem
    16-VIII-1931
     
    Sixsmith,
    der Sommer hat eine sinnliche Wendung genommen: Ayrs’ Frau und ich sind ein Liebespaar. Sei unbesorgt! Nur im fleischlichen Sinne. Letzte Woche kam sie eines Nachts in mein Zimmer, schloß die Tür hinter sich ab und entkleidete sich, ohne daß ein Wort zwischen uns fiel. Will nicht prahlen, aber ihr Besuch überraschte mich nicht. Im Gegenteil, ich hatte die Tür für sie offengelassen. Wirklich, Sixsmith, Du solltest einmal versuchen, die Liebe in vollkommener Stille zu genießen. Sowie die Lippen versiegelt sind, verwandelt sich das ganze Tamtam in reine Wonne.
    Wenn man den Körper einer Frau entschlüsselt, springt auch das Kästchen auf, in dem sie ihre Geheimnisse verwahrt. (Du mußt sie einmal ausprobieren, Frauen, meine ich.) Könnte das in Zusammenhang mit ihrer Hoffnungslosigkeit beim Kartenspiel stehen? Ich selbst liege nach dem Akt gerne ruhig da, aber aus Jocasta sprudelte es heraus, als gelte es, unser großes, dunkles Geheimnis unter vielen kleinen, ½ so dunklen zu begraben. Erfuhr, daß sich Ayrs seine Syphilis 1915, während einer längeren Trennung, in einem Bordell in Kopenhagen geholt und seine Frau seitdem nicht mehr beglückt hat; nach Evas Geburt eröffnete ihr der Arzt, sie könne nie wieder ein Kind empfangen. Bei der Wahl ihrer gelegentlichen Liebhaber ist sie sehr anspruchsvoll, pocht aber auf ihr Recht, welche zu haben. Sie behauptete steif und fest, Ayrs noch zu lieben. Ich grunzte skeptisch. Daß die Liebe die Treue liebe, konterte sie, sei ein Mythos, den die Männer aus ihrer Unsicherheit heraus erfunden hätten.
    Unterhielten uns auch über Eva. J.

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