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Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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selbstverständlich an seine Angehörigen weitergeleitet, aber da Sie nun schon hier sind …»
    Er überreicht ihr höflich ein Bündel von neun Briefen, im Lauf der Jahre vergilbt, die an «Rufus Sixsmith, Esq. c/o Caius College, Cambridge, England» adressiert sind. Einer weist frische Teeflecke auf. Alle sind arg zerknittert und eilig wieder glatt gestrichen worden.
    «Vielen Dank …», sagt Luisa zerstreut und fügt dann mit fester Stimme hinzu: «Seine Korrespondenz war Onkel Rufus immer sehr kostbar, und nun ist sie das Einzige, was mir von ihm geblieben ist. Ich möchte Ihnen nicht weiter Ihre Zeit stehlen. Es tut mir leid, dass ich vorhin die Fassung verloren habe.»
    Der Manager ist sichtlich erleichtert.
    «Sie sind ein ganz besonderer Mensch, Megan», sagt Janice aus Esphigmenou, als sie sich in der Hotelhalle von Luisa verabschiedet.
    « Sie sind ein ganz besonderer Mensch, Janice», erwidert Luisa. Auf dem Weg zum Parkdeck geht sie keine zehn Meter weit entfernt an Schließfach 909 vorbei.
     
    21
     
    Luisa ist gerade eben zurück im Büro, als Dom Grelsch über das Geschnatter in der Nachrichtenredaktion hinwegbrüllt: « Miss Rey!»
    Jerry Nussbaum und Roland Jakes blicken von ihren Schreibtischen auf, werfen erst Luisa und dann einander viel sagende Blicke zu und flüstern: «Autsch!» Luisa schließt die Briefe Frobishers in eine Schublade und geht in Grelschs Büro. «Entschuldigen Sie, Dom, dass ich es nicht zur Besprechung geschafft habe, aber …!»
    «Ersparen Sie mir die Sorgen-einer-Frau-Ausrede. Machen Sie die Tür zu.»
    «Es ist nicht meine Art, Ausreden zu erfinden.»
    «Ist es denn Ihre Art, Redaktionstermine einzuhalten? Dafür werden Sie nämlich bezahlt.»
    «Ich werde auch dafür bezahlt, Storys nachzugehen.»
    «Sie sind also zum Tatort gestürmt. Haben Sie handfeste Beweise gefunden, die die Polizei übersehen hat? Eine mit Blut geschriebene Nachricht auf den Kacheln? ‹Alberto Grimaldi war’s›?»
    «Handfeste Beweise sind erst dann handfeste Beweise, wenn man sich beim Graben nach ihnen das Kreuz bricht. Das hat mir mal ein Chefredakteur namens Dom Grelsch gesagt.»
    Grelsch starrt sie wütend an.
    «Ich habe eine Spur, Dom.»
    «So, Sie haben eine Spur!»
    Ich kann dir keine reinhauen, ich kann dich nicht für dumm verkaufen, ich kann dich nur bei deiner Neugier packen. «Ich habe dasRevier angerufen, das den Sixsmith-Fall bearbeitet hat.»
    «Es gibt keinen Fall! Es war Selbstmord! Und mit Selbstmord macht man keine Auflage, es sei denn, die Leiche heißt Marilyn Monroe. Zu negativ!»
    «Hören Sie mir zu. Warum hat Sixsmith ein Flugticket gekauft, wenn er sich noch am selben Tag eine Kugel durch den Kopf jagen wollte?»
    Grelsch streckt die Arme von sich, als wolle er das Ausmaß seiner Verblüffung darüber demonstrieren, dass er sich überhaupt auf dieses Gespräch einlässt. «Eine Kurzschlussreaktion.»
    «Kurzschlussreaktion? Und warum wurde dann ein getippter Abschiedsbrief bei ihm gefunden – aber keine Schreibmaschine?»
    «Keine Ahnung! Interessiert mich auch nicht! Donnerstagabend ist Redaktionsschluss, ich liege mit der Druckerei im Clinch, uns steht ein Lieferantenstreik bevor und Ogilvy schwingt das Dingsbums-Schwert über meinem Haupt. Halten Sie eine Séance ab und fragen Sie Sixsmith selbst! Sixsmith war Wissenschaftler. Und Wissenschaftler sind labil.»
    «Wir saßen neunzig Minuten in einem Fahrstuhl fest. Er war die Ruhe in Person. Das Wort labil passt so gar nicht zu diesem Menschen. Noch etwas. Er hat sich – angeblich – mit der leisesten Waffe erschossen, die auf dem Markt zu haben ist. Eine Roachford Kaliber .34 mit passendem Schalldämpfer. Nur im Versand erhältlich. Warum sollte er sich so viele Umstände machen?»
    «Verstehe. Die Polizei hat sich geirrt, der Gerichtsmediziner hat sich geirrt, alle haben sich geirrt, außer Luisa Rey, der jungen Starreporterin, die scharfsinnig zu dem Schluss kommt, dass das weltberühmte Superhirn ermordet wurde, weil es in irgendeinem Bericht, dessen Existenz bislang von niemandem bestätigt wurde, auf ein paar technische Probleme hingewiesen hat. So weit richtig?»
    «Fast. Wahrscheinlicher ist, dass die Polizei zu Schlussfolgerungen ermuntert wurde, die günstig für Seaboard sind.»
    «Klar, ein Energieversorgungskonzern kauft den gesamten Strafverfolgungsapparat. Dass ich da nicht drauf gekommen bin!»
    «Mit all ihren Tochtergesellschaften ist die Seaboard Corporation der zehntgrößte Konzern des

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