Der Wolkenatlas (German Edition)
spannt die behandschuhten Hände. Keine Droge, keine religiöse Erfahrung ist so berührend wie die, einen anderen Menschen zur Leiche zu machen. Aber man braucht Grips dazu. Ohne Disziplin und Sachverstand sitzt man schnell gefesselt auf dem elektrischen Stuhl. Der Mörder streichelt den Krügerrand in seiner Tasche. Die Münze begleitet ihn bei allen seinen Sonderaufträgen. Smoke würde sich nie zum Sklaven des Aberglaubens machen, aber er hat auch nicht vor, sich aus purer Selbstbestätigung mit seinem Glücksbringer anzulegen. Eine Tragödie für die Angehörigen, ein großes Garnichts für alle anderen und ein beseitigtes Problem für meine Auftraggeber. Ich bin ein Werkzeug, das den Willen seiner Auftraggeber ausführt. Wenn nicht ich, dann tut’s der nächstbeste Profi aus den Gelben Seiten. Gebt die Schuld dem Eigentümer, gebt die Schuld dem Hersteller, aber gebt sie nicht der Waffe. Bill Smoke hört das Türschloss. Ruhig weiteratmen . Die Tabletten, die er vorhin genommen hat, haben seine Wahrnehmung außerordentlich verfeinert, und als Sixsmith «Leaving On A Jet Plane» summend ins Zimmer schlurft, könnte der Killer schwören, den Puls seines Opfers zu spüren, der langsamer geht als sein eigener. Smoke beobachtet seine Beute durch den Türspalt. Sixsmith lässt sich schwer aufs Bett fallen. Der Mörder vergegenwärtigt sich den erforderlichen Bewegungsablauf: Drei Schritte ins Zimmer, von der Seite zielen, aus nächster Nähe in die Schläfe schießen. Smoke stürmt blitzschnell aus dem Badezimmer; Sixsmith stößt einen kehligen Laut aus und versucht sich aufzurichten, doch im selben Moment bohrt sich schallgedämpft die Kugel durch den Schädel des Wissenschaftlers und in die Matratze. Rufus Sixsmith fällt nach hinten, als würde er sich zu einem Verdauungsnickerchen legen.
Blut sickert in die durstige Daunendecke.
In Bill Smokes Hirn pulsiert es vor Befriedigung. Seht, was ich getan habe.
19
Der Mittwochmorgen ist so smogverseucht und brütend heiß wie die letzten hundert Morgen und die nächsten fünfzig. Luisa Rey sitzt im heruntergekühlten Snow White Diner an der Ecke 2nd Avenue und 16th Street, das nur zwei Gehminuten von der Spyglass -Redaktion entfernt liegt, trinkt schwarzen Kaffee und liest über einen Baptisten und ehemaligen Atomingenieur der Navy aus Atlanta namens James Carter, der sich als demokratischer Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen will. Der Verkehr auf der 16thStreet bewegt sich mal in nervtötenden Zentimeterintervallen, mal in fluchtartigen Schüben. Auf dem Bürgersteig eilige Fußgänger und vorbeiflitzende Skateboardfahrer. «Kein Frühstück heute Morgen, Luisa?», erkundigt sich Bart, der Koch.
«Nur die Nachrichten», antwortet seine überaus treue Stammkundin.
Roland Jakes stolpert zur Tür herein und geht auf Luisa zu. «Äh, ist hier noch frei? Hab heute Morgen noch nichts zwischen die Zähne gekriegt. Shirl hat mich verlassen. Mal wieder.»
«Artikelbesprechung in fünfzehn Minuten.»
«Massig Zeit.» Jakes setzt sich und bestellt Spiegeleier. «Seite neun. Rechts unten. Solltest du lesen.»
Luisa blättert zur Seite neun und greift nach ihrem Kaffeebecher. Ihre Hand erstarrt.
Wissenschaftler begeht Selbstmord in BY-Airporthotel
Der angesehene britische Wissenschaftler Dr. Rufus Sixsmith wurde am Dienstagmorgen in seinem Zimmer im Buenas-Yerbas-Airporthotel Bon Voyage tot aufgefunden. Er beging Selbstmord. Dr. Sixsmith, ehemaliger Leiter der Welt-Atom-Kommission, war seit zehn Monaten als Berater für die Seaboard Corporation tätig und arbeitete in der dem Großkonzern gehörenden Versorgungsanlage auf Swannekke Island, außerhalb von Buenas Yerbas City. Der Wissenschaftler, der zeitlebens an schweren Depressionen litt, hatte sich eine Woche vor seinem Tod völlig von der Außenwelt zurückgezogen. Seaboard-Pressesprecherin Fay Li sagte: «Dr. Sixsmiths allzu früher Tod ist eine Tragödie für die gesamte internationale Wissenschaft. Wir vom Seaboard Village auf Swannekke Island haben nicht nur einen hochgeschätzten Kollegen, sondern auch einen lieben Freund verloren. Unsere tiefe Anteilnahme gilt seiner Familie und seinen vielen Freunden. Wir alle werden ihn sehr vermissen.» Dr. Sixsmiths Leichnam, der von den Zimmermädchen gefunden wurde, wies eine Einschusswunde am Kopf auf. Er wird zur Beerdigung in sein Geburtsland England überführt. Ein Gerichtsmediziner der BYPD bestätigte, dass der Selbstmord
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