Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolkenatlas (German Edition)

Der Wolkenatlas (German Edition)

Titel: Der Wolkenatlas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
Vom Netzwerk:
dezimierten Regalbestand. Ich werde nicht weinen . «Und, geht’s dir gut?»
    «Prima. Und dir?»
    «Ebenso.»
    «Bei der Arbeit alles okay?»
    «Bestens.» Hol uns beide aus dieser elenden Situation heraus. «Ichglaube, du hast noch einen Schlüssel von mir.»
    Hal zieht die Sporttasche zu, wühlt in seiner Jacke und lässt den Wohnungsschlüssel in ihre offene Hand fallen. Er tut es mit großer Geste, um das Symbolhafte zu betonen. Luisa riecht ein unbekanntes Aftershave und stellt sich vor, dass sie es ihm heute Morgen aufgetragen hat. Das Hemd hatte er vor acht Wochen auch noch nicht . Die Cowboystiefel, die sie gemeinsam am Tag des Segovia-Konzerts gekauft haben. Hal steigt über ein Paar von Javiers dreckigen Turnschuhen, und Luisa sieht ihm an, dass er sich einen Witz über ihren neuen Kerl verkneift. Stattdessen sagt er: «Also, bis dann.»
    Ihm die Hand geben? Ihn umarmen? «Ja.»
    Die Tür fällt ins Schloss.
    Luisa legt die Kette vor und lässt die Begegnung Revue passieren. Sie dreht die Dusche auf und zieht sich aus. Vor dem Badezimmerspiegel stehen Shampooflaschen, Pflegespülungen, eine Packung Binden, Hautcremes und kleine Seifen. Luisa schiebt die Kosmetikartikel zur Seite, um einen besseren Blick auf das Muttermal zu haben, das zwischen ihrem Schulterblatt und dem Schlüsselbein liegt. Das Wiedersehen mit Hal ist plötzlich vergessen. Es gibt Zufälle, ständig. Aber es hat unbestreitbar die Form eines Kometen. Der Spiegel beschlägt. Du verdienst deine Brötchen mit Fakten. In einem Muttermal kann man alles erkennen, wenn man will, nicht nur einen Kometen. Du bist noch immer mitgenommen wegen Dads Tod, das ist alles. Die Journalistin stellt sich unter die Dusche, aber in Gedanken wandert sie durch die Flure von Château Zedelghem.
     
    25
     
    Das Camp der Anti-Swannekke-Aktivisten liegt zwischen einem Sandstrand und einer morastigen Lagune am Meer. Hinter der Lagune erstrecken sich Zitrusplantagen bis an die ausgetrocknetenBerghänge. Die zerschlissenen Zelte, die mit Regenbogen bemalten Wohnmobile und Trailer wirken wie Strandgut, das der Pazifik hier abgeladen hat. Ein aufgespanntes Transparent verkündet: DIE ERDE GEGEN SEABOARD. Auf der anderen Brückenseite flirrt Swannekke A in der Mittagshitze wie eine Fata Morgana Utopias. Braun gebrannte Kleinkinder planschen im träge fließenden, flachen Wasser, ein bärtiger Apostel wäscht in einem Zuber Kleidung, ein eng umschlungenes Teenagerpaar liegt knutschend im Dünengras.
    Luisa schließt den Käfer ab und geht durch die Büsche zum Lager. Möwen segeln in der drückenden Hitze. In weiter Ferne brummen landwirtschaftliche Maschinen. Mehrere Bewohner kommen auf sie zu, doch ihre Mienen sind abweisend. «Ja?», fragt ein Mann mit scharf geschnittenem Indianergesicht.
    «Ich dachte, dies sei öffentliches Gelände.»
    «Falsch gedacht. Privatgrundstück.»
    «Ich bin Journalistin. Ich würde gerne ein paar von Ihnen interviewen.»
    «Für wen arbeiten Sie?»
    «Das Spyglass .»
    Das Klima entspannt sich etwas. «Sollten Sie dann nicht lieber über die neuesten Eskapaden von Barbra Streisands Nase schreiben?», fragt der Indianer und fügt ein hämisches «Ist nicht persönlich gemeint» hinzu.
    «Tut mir leid, dass ich nicht bei der Herald Tribune bin, aber geben Sie mir doch eine Chance. Sie können ein bisschen positive Presse gebrauchen, es sei denn, Sie haben ernsthaft vor, die atomare Zeitbombe am anderen Ufer zu demontieren, indem Sie Transparente schwenken und Protestlieder klimpern. Ist nicht persönlich gemeint.»
    Ein Südstaatler knurrt: «Sie blasen sich ganz schön auf, Gnädigste.»
    «Das Interview ist beendet», sagt der Indianer. «Verschwinden Sie von unserem Land.»
    «Lass gut sein, Milton», sagt eine weißhaarige, sonnengebräunte Frau auf der Treppe ihres Trailers. «Ich spreche mit ihr.» Eine Promenadenmischung lugt majestätisch an ihrer Herrin vorbei. Offenbar hat die Stimme der Frau Gewicht, denn die Menschentraube löst sich widerspruchslos auf.
    Luisa geht auf den Trailer zu. «Die Blumenkinder-Generation?»
    «1975 hat mit 1968 nichts mehr gemein. Seaboard und die Polizei haben Informanten in unser Netzwerk eingeschleust. Letztes Wochenende sollte der Platz wegen der angereisten Prominenz geräumt werden, und dabei floss Blut. Damit hatte die Polizei einen Vorwand, eine Reihe von Verhaftungen vorzunehmen. Das übersteigerte Misstrauen ist leider berechtigt. Kommen Sie herein. Ich bin Hester Van Zandt.»
    «Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher