Der Wolkenatlas (German Edition)
sehr gehofft, Sie kennen zu lernen, Dr. Van Zandt», sagt Luisa.
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Eine Stunde später verfüttert Luisa ihren Apfelgriebs an Hester Van Zandts würdevollen Hund. Van Zandts Büro mit den vielen Bücherregalen ist so aufgeräumt, wie das von Grelsch chaotisch ist. Luisas Gesprächspartnerin kommt langsam zum Ende. «Der Konflikt zwischen Konzernen und Aktivisten ist derselbe wie zwischen Amnesie und Erinnerung. Die Konzerne verfügen über Geld, Macht und Einfluss. Unsere einzige Waffe ist die öffentliche Empörung. Die empörte Öffentlichkeit hat den Yuccan-Staudamm verhindert, Nixon aus dem Amt gejagt und den Gräueltaten in Vietnam ein Ende bereitet. Aber öffentliche Empörung ist ebenso schwer herzustellen wie zu handhaben. Man muss die andere Seite genau beobachten und ein Problembewusstsein schaffen. Erst wenn dieses Bewusstsein bis in die breite Bevölkerung vorgedrungen ist, kommt es zur öffentlichen Empörung. Dabei kann jede Phase gezielt sabotiert werden. Die Alberto Grimaldis dieser Welt können sich gegen Kritik von außen schützen, indem sie die Wahrheit in Ausschüssen begraben, nichts sagende Statements und Fehlinformationen verbreiten oder unliebsame Beobachter einschüchtern. Sie können jedes Problembewusstsein im Keim ersticken, indem sie die Bildung verflachen, eigene Fernsehsender gründen, Leitartiklern ‹Gasthonorare› zahlen oder gleich die ganze Medienlandschaft kaufen. Es sind die Medien – und nicht mehr nur die Washington Post –, in denen Demokratien heute ihre Bürgerkriege führen.»
«Darum haben Sie mich auch vor Milton und seinen Mitstreitern gerettet.»
«Ich wollte Ihnen die Wahrheit schildern, wie wir sie sehen, damit Sie zumindest informiert sind, bevor Sie entscheiden, auf wessen Seite Sie stehen. Schreiben Sie eine Glosse über Thoreaus Enkel von GreenFront und ihr Mini-Woodstock, und Sie bestätigen jedes Vorurteil der Republikaner und begraben die Wahrheit noch ein bisschen tiefer. Oder schreiben Sie über verstrahlte Meeresfrüchte, ‹unbedenkliche›, von den Luftverpestern selbst festgelegte Emissionswerte, über Regierungsentscheidungen, die mit Wahlkampfspenden gekauft werden, und über Seaboards nach eigenem Recht operierende Polizeitruppe und tragen Sie so dazu bei, dass sich das Bewusstsein der Öffentlichkeit Grad für Grad dem Siedepunkt nähert.»
Luisa fragt: «Kannten Sie Rufus Sixsmith?»
«Allerdings, möge er in Frieden ruhen.»
«Ich hätte Sie eher als politische Gegner eingestuft … oder?»
Luisas Schachzug entlockt Van Zandt ein Nicken. «Ich lernte Rufus Anfang der Sechziger in Washington bei einer Expertenkommission kennen, die für das Energieministerium arbeitete. Damals habe ich mich ein bisschen vor ihm gefürchtet. Nobelpreisträger, Veteran des Manhattan-Projekts. Er war nicht unbedingt, was man einen Frauenfreund nennt.»
Luisa hat aus Robert Frobishers Briefen denselben Eindruck gewonnen. «Wissen Sie zufällig etwas über einen Bericht, in dem er HYDRA Zero als Sicherheitsrisiko einstuft und fordert, dass Swannekke B vom Netz genommen wird?»
«Dr. Sixsmith? Sind Sie sich da sicher?»
«Sicher? Verdammt sicher!»
Van Zandt wirkt nervös. «Mein Gott, wenn GreenFront eine Kopie dieses Berichts in die Hände bekäme …» Ihre Miene verfinstert sich. «Wenn Rufus Sixsmith tatsächlich ein vernichtendes Urteil über HYDRA Zero gefällt hat und drohte, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, dann glaube ich nicht mehr daran, dass er sich selbst erschossen hat.»
Luisa fällt auf, dass sie beide flüstern. Sie stellt die Frage, die Grelsch jetzt vermutlich stellen würde: «Ist es nicht paranoid, anzunehmen, Seaboard würde einen Mann von Sixsmiths Format ermorden lassen, nur um negative Publicity zu verhindern?»
Van Zandt nimmt ein Foto von der Korkpinnwand, das eine Frau in den Siebzigern zeigt. «Ein Name für Sie. Margo Roker.»
«Ich las ihren Namen neulich auf einem Transparent.»
«Margo engagiert sich für GreenFront, seit Seaboard Swannekke Island gekauft hat. Ihr gehört dieses Land, und sie lässt uns hier unsere Aktionen planen, damit wir Seaboard ein Dorn im Auge sind. Vor sechs Wochen wurde in ihren Bungalow zwei Meilen nördlich von hier eingebrochen. Margo besitzt kein Geld, sondern nur ein paar Stück Land, Land, von dem sie sich, trotz der verlockenden Angebote seitens Seaboard, partout nicht trennen will. Tja. Die Einbrecher schlugen brutal auf sie ein, und als sie glaubten, sie wäre
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