Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
beschattete ihre Augen und ließ den Blick über das Gelände wandern. Sie sprang von einem Schuttbrocken zum nächsten, trittsicher wie eine Katze auf dem tückischen Untergrund.
Kräne ragten über ihr auf, aber es waren nur Kräne, keine Finger. Sie waren mit nichts verbunden, mit keiner Hand, keinem Arm, keinem Körper. Wo war er? Was war er? Ihre eigenen Finger krallten sich schmerzhaft um ihren Speer.
Stoß ihn dem Krankönig in den Rachen.
Würd ich ja gern , dachte sie verzweifelt, wenn ich bloß wüsste, wo sein Scheißrachen ist!
Vor ihr türmte sich der Rand der Baustelle auf, ein undurchdringliches Trümmermeer aus Beton und gesplittertem Holz und verbogenem Metall, aufgeschüttet gegen den Absperrzaun. Ein Knurren durchschnitt die Luft hinter ihr. Sie kam schlitternd zum Stehen und wirbelte in einer Staubwolke herum.
Drei Skelettwölfe, groß wie Pferde, schlichen über einen Hügel aus Steinschutt auf sie zu. Durch die Lücken in ihren Stahlgerippen sah Beth den dahinterliegenden Wolkenkratzer, und in seinen Fenstern spiegelte sich ihr eigenes angstverzerrtes Gesicht.
Die Wölfe kamen näher, die Köpfe gesenkt, die Ohren angelegt. Beth zog sich zurück. Hilflos blickte sie sich um, hielt den Arm nach hinten gestreckt, den Eisenspeer wurfbereit, doch sie hatte kein Ziel. Sie konnte Bagger sehen, Kräne, aber nirgends einen gigantischen Baustellengott. Der mühsam gesammelte Mut in ihr brodelte, aber sie hatte keine Möglichkeit, ihn herauszulassen.
Ihr Rücken stieß gegen raues Gestein. Jetzt gab es für sie kein Entkommen mehr.
Sie musterte die Wölfe, überlegte, ob sie wohl schnell genug war, um es mit allen gleichzeitig aufzunehmen. Übermut stieg ihr in die Kehle, schmeckte nach Blut, und sie knurrte die Monster herausfordernd an.
Allerdings umhüllten noch zahllose weitere Gerüste schlummernd die halb fertigen Hochhäuser. Selbst wenn Beth die drei stählernen Bestien, die auf sie zukamen, zur Strecke brächte, würden andere sofort deren Platz einnehmen.
Die Wölfe hielten inne. Sie stießen ihr hohl tönendes Knurren aus und begannen, mit einigem Abstand im Halbkreis um sie herumzustreifen. Beth knurrte zurück, räusperte sich geräuschvoll und spuckte nach ihnen, und sie grinsten sie an mit ihren schartigen Zähnen, bettelten geradezu darum, dass sie endlich angriff.
Auf dem Rest des Geländes tobte weiter der Sturm der Bauarbeiten: Die Kräne hievten ihre Lasten hinauf, und die Bagger durchpflügten den Boden, obwohl die Führerhäuser allesamt leer waren. Nirgends gab es eine Spur von der Kraft, die sie antrieb.
Beths Blut pulsierte dröhnend durch ihre Adern.
Worauf wartest du noch?
Irgendetwas hieb ihr von hinten gegen die rechte Schulter. Sie taumelte vorwärts, dann wurde sie mit voller Wucht zurückgerissen. Ein lähmender Schmerz schoss von Kopf bis Fuß durch ihre rechte Körperhälfte, Knochen mahlten widerlich in den Gelenken. Ihr Waffenarm wurde schlaff.
Beth blickte auf ihre Schulter. Der Schmerz nahm ihr die Sinne, ließ sie würgen, verlangsamte alles.
Eine metallene Spitze ragte aus ihrem Kapuzenpulli. Sie schimmerte feucht, ölig rot, und bei näherem Hinsehen glaubte Beth, winzige weiße Knochensplitter zu erkennen, eingeschlossen in schmierigem Blut. Der Rest des Hakens steckte hinten in ihrem Schulterblatt. Eine kurze Kette war daran befestigt und an dieser ein Kabel, ein zehn Zentimeter dickes Stahlseil, das von ihrer durchbohrten Schulter hinauf in den Himmel führte.
Ein lautes Surren klang betäubend in ihren Ohren, die Winde des Krans zog an.
Beth schrie. Die Wölfe schnappten nach ihren Füßen, und sie schrie erneut, hektische Laute zwischen panischen Atemzügen. Der Schmerz jagte in jähen heißkalten Wellen von ihrer Schulter hinab in die Zehen. Säure stieg ihr in den Rachen. Ihre Füße zappelten in der Luft, als der Kran sie hinaufzog.
Die Last ihres eigenen Gewichts, das an der durchstoßenen Schulter zerrte, war unerträglich, und sie nahm undeutlich wahr, wie sie auf der Schwelle zur Ohnmacht zusammenhanglos vor sich hin brabbelte. Sie fühlte ihr Schulterblatt gegen den Stahlhaken schlagen, spürte, wie Sehnen unter der Belastung zerknallten. Jeden Moment, schoss es ihr durch den Kopf, würde ihr Fleisch aufreißen und den Haken freigeben.
Doch nichts dergleichen geschah. Diese fremde Substanz in ihrem Blut gerann bereits um die Wunde, legte sich darauf wie Zement, schloss sich um Reachs stählerne Kralle. Beth wurde weiter
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