Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
Vom Netzwerk:
Dornen. Das Drahtgeschöpf zuckte wild, offensichtlich gefangen in jenem rätselhaften Kraftfeld, mit dem die gläserne Frau es auf welche Weise auch immer gefangen hielt.
    Ihr Kopf war gesenkt, ihre Hand ausgestreckt, so als betete sie. Sie wurde niedergedrückt, ihre gläsernen Knie bebten vor Anstrengung.
    Eine einzelne dünne Strähne des Stacheldrahtwesens reckte sich Richtung Boden. Sie wand sich, zuckte vor Enttäuschung, während sie sich durch die schwüle Luft kämpfte.
    Die leuchtende Frau sackte auf ein Knie. Das Glas klang wie eine helle Glocke, als es auf dem Beton aufsetzte.
    Der Stacheldraht berührte die Erde –
    Sofort war das Monster aus der Gewalt der Glasfrau befreit. Es schoss augenblicklich auf sie zu, wie ein Peitschenhieb. Widerlich knirschend bohrten die Drahtstacheln sich in das Glas, sodass sie zurücktaumelte. Ihr Licht flackerte. Der Draht schwirrte und wirbelte durch die Luft, wie eine an die Erde gekettete metallene Wolke. Zu Haken gebogene Ranken zuckten giftig und pfeilschnell umher, nicht in Richtung der gläsernen Frau, sondern in Richtung Pen .
    Zum Ausweichen blieb ihr keine Zeit.
    Metall wirbelte um sie herum, wischte durch ihr Haar. Pen rang nach Atem, gefangen in einem Strudel aus Draht. Die wirbelnden Stränge schlangen sich immer enger um sie, spannen sie ein wie in einen Kokon. Die Lücken schlossen sich, löschten das Licht der gläsernen Frau. Pen zog den Bauch ein, kniff die Augen zusammen, wartete auf die Berührung der Stacheln.
    Stille. Sie hörte nichts mehr, sah nichts mehr, doch sie spürte die Spitzen der Drahtdornen auf ihren Augenlidern. Die Berührung war sanft, wie die eines Blinden, der sich ein neues Gesicht einprägt. Es kitzelte. Dann plötzlich ein Gewitter von Nadelstichen an ihrem ganzen Körper, forschend: unter ihren Armen, auf ihrem Nacken, zwischen den Schenkeln, zwischen den Fingern. Sie spürte, wie die Dornen sich in sie bohrten.
    Sie wollte schreien, doch ihr Brustkorb war eingeschnürt.
    Eine Sekunde verstrich. Dann eine zweite. Pen wagte noch immer nicht, ihre Augen zu öffnen, nur der Funke eines Gedankens schoss ihr durch den Kopf: Ich bin am Leben. Jetzt erst begriff sie, dass sie damit gerechnet hatte, es nicht mehr zu sein. Wärme tröpfelte über ihren Körper – nasse, klebrige Wärme. Ich blute , sagte sie sich, so nüchtern es ging, aber allzu viel Blut ist es nicht. Ich bin am Leben. Die Drahtdornen steckten in ihr, stillten die Blutung der Wunden, die sie selbst geschlagen hatten.
    Der Schmerz rollte in feurigen Wellen über ihre Haut, doch er war unbedeutend, verglichen mit dem Gefühl, am Leben zu sein.
    Etwas Fingerartiges, kalt und dünn, stieß gegen ihre Lider, zupfte an ihren Wimpern; reflexartig öffneten sich ihre Augen.
    Mr Bradley starrte sie an, das Gesicht schlaff vor Entsetzen. Sie konnte ihn sehen, weil die Glasfrau immer noch da war, auf dem Boden kniete, leuchtete.
    Mir – mir geht’s gut. Es tut weh, aber …
    Dann wurde ihr klar, dass sie kein Wort sagte. Stacheln hielten ihre Kehle umklammert, und sie konnte die feinen Metalldornen spüren, die nach ihren Lippen griffen, als sie versuchte, sie zu bewegen. Ein Blutstropfen hing unter ihrer Nase; er kitzelte wie verrückt, und sie wollte ihn wegwischen, aber sie konnte nicht. Auch ihre Hand rührte sich nicht. Sie verdrehte die Augen, so weit es ging, um einen Blick auf ihren Arm zu werfen. Er war mit Draht umwickelt – ihr gesamter Körper war in ein Exoskelett aus Stacheldraht eingehüllt, und er war gelähmt.
    Sie war gelähmt.
    »Parva?«, fragte Mr Bradley unsicher. »Parva, kannst du mich hören?«
    Pen vermochte weder zu sprechen noch sonst irgendein Zeichen zu geben, aber ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, fühlte sie, wie ihr Arm sich hob, von dem Draht um ihn herum nach oben gezogen. Ihr Finger streckte sich auf einen Punkt zu –
    – dann plötzlich rissen die Drähte um ihre Lippen ihr die Kiefer auseinander, und etwas schnellte ihr in den Mund. Schmerz durchstach ihre Zunge, als der Draht danach griff.
    Blut tröpfelte ihr in die Mundhöhle.
    »Wo ist er?« Die Stimme, die aus Pens Kehle kam, war grotesk, seltsam verzerrt, so als würde sie aus ihrem Brustkorb herausgepresst.
    Mr Bradley war kurz davor, in Ohnmacht zu fallen, doch er straffte sich. »W-w-wo ist wer?«, stammelte er.
    »Wo ist er?« Der Draht ruckte an Pens Hand.
    Beths Vater folgte mit seinem Blick dem deutenden Finger, und Pen tat es ihm gleich. Wild verstreut über den

Weitere Kostenlose Bücher