Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
»ist der Tag, an dem ich mich umbringe.« Ihr Spiegelbild waberte düster auf der öligen Oberfläche. Den Umriss ihres Kopfes vermochte sie auszumachen, doch das Gesicht darin war nichts als ein blauschwarzer Fleck.
»Na dann«, sagte sie. Ihre Stimme klang fest, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug.
»Na dann«, antwortete er.
»Wir legen wohl besser gleich los.«
»Ist wohl so.«
»Wir verplempern hier bloß Zeit.«
»Japp.«
»Kein Zurück mehr.«
Die Synode schüttelte symmetrisch die Köpfe, und Beth spürte einen Ruck in ihrer Brust. Es war, als hörte sie in einem finsteren Haus eine schwere Tür hinter sich zuschlagen.
Sie hockte sich an den Rand des Tümpels, streifte ihre Sneaker ab und zog die Socken aus. Öliger, schwarzer Schlick kühlte die Haut zwischen ihren Zehen. Zögerlich steckte sie einen Fuß in die morastige Brühe …
»Au!«, brüllte sie und riss ihn jäh zurück. Die Haut war übersät von blutroten Pusteln. Sie warf Fil einen Blick zu.
»Ich hab dir gesagt, dass es wehtun könnte.«
» Na klar « , murmelte sie kaum hörbar und stand auf. Vornübergebeugt wie ein Taucher postierte sie sich auf Zehenspitzen am grasigen Rand, bereit zum Kopfsprung. Wenn sie sich so schnell wie nur möglich hineinstürzte, überlegte sie, wäre hoffentlich zumindest der Schock rasch vorbei.
Das Blut rauschte in ihren Ohren wie Züge, wie Verkehr, wie Rohrleitungen in den Kellern von Hochhäusern, wie herandrängende Fluten des Flusses.
Willst du wirklich wie ich sein?
Sie spannte die Muskeln an.
»Beth«, sagte Fil. »Ich bin stolz … «
Sie sprang.
Kapitel 28
Unwillkürlich kniff Beth die Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander. Sie stieß mit aller Kraft Luft durch die Nase, als ihr Gesicht die zähe Oberfläche des Tümpels durchstieß, dann wurde sie von der Brühe verschluckt.
Flüssigkeit drängte ihr in die Ohren, erstickte dröhnend das Geräusch ihres Herzschlags. Sie fühlte das Bauschen des T-Shirts, als das Wasser ihr über den Bauch strömte, prickelnd wie Milliarden Insektenfüße. In Bruchteilen von Sekunden bildeten sich Blasen an ihrem Hals, in ihren Ohren, zwischen ihren Fingern, brannten ihr auf den Lippen.
Nicht atmen, nicht atmen.
Wieder presste sie einen Schwall Luft durch die Nase. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, welcher Schmerz auf sie wartete, sobald diese Giftsuppe ihre Nebenhöhlen füllte, doch der Druck auf ihre Brust wurde stetig größer. Sie hielt den Mund geschlossen.
Nicht atmen. Nicht atmen. Keine Panik.
Wenn du dir das erst einreden musst , konterte trocken eine Stimme in ihrem Kopf, bist du eh schon am Arsch.
Das Wasser verätzte ihre Haut. Sie spürte, wie warmes Blut aus ihren Poren drang.
Der Druck wuchs, während die Flüssigkeit sie immer enger umschloss, bis jeder Pulsschlag sich anfühlte, als wollte er ihren Schädel sprengen. Das Vakuum in ihrer Brust war wie ein schwarzes Loch. Wasser drängte ihr in die Mundwinkel, brannte auf ihrem Zahnfleisch, zischte entsetzlich auf ihren Zähnen. Es zerrte an ihrem Kiefer, um endlich hereingelassen zu werden.
Nicht atmen. Nicht atmen. Keine Panik.
Der Luftstrom aus ihren Nasenlöchern verebbte. Letzte Bläschen huschten über ihr Gesicht, dann waren sie verschwunden.
Atme. Atme. Keine Panik.
Ich sehe zu, wie ihr Körper erschlafft, der dort im Wasser schwebt wie ein schwarzer Stern. Es wäre eine Lüge zu behaupten, ich hätte diese Sache für ungefährlich gehalten. Wir haben beide gewusst, dass das hier sie womöglich umbringt, und obwohl sie es gut verborgen hat, fürchtet Beth sich dennoch entsetzlich davor, dass sie sterben könnte.
So wie ich.
Ich will ihr hinterherspringen, doch stattdessen beiße ich mir auf die Lippen und schmecke das Benzin. Wir sind im Krieg, und das macht uns zu Soldaten – welcher echte Soldat setzt schon alles aufs Spiel, weil eine Freundin von ihm verletzt werden könnte? Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, besser als die, die sie bei Reach hätte. »Das ist jetzt auch mein Kampf«, hat sie gesagt, und ich zwinge mich, das zu respektieren.
Sechs Schatten fallen plötzlich aufs Wasser, und ich blicke ruckartig auf. Die Mitglieder der Synode sind ans Ufer getreten, schließen die Knöpfe ihrer Jacketts in harmonischem Takt. Sie neigen sich über den Tümpel wie die Blütenblätter einer pechschwarzen Blume. Zu spät bemerke ich das Fehlen aller Geräusche. Sie lassen ihre Feuerzeuge nicht auf- und zuschnappen. Beth ist still, sie sind
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