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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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erzählt oft, ich hätte nicht geweint, sondern bloß kichernd hinauf in die Wolken gestarrt, benebelt vom Gas. Ich hätte nicht mal bemerkt, dass meine Mutter verschwunden war.
    Niemand außerhalb der Synode weiß, welchen Preis sie verlangt haben, doch was immer es war, Mater Viae hatte es nicht. Deswegen ist sie fort, es musste sein: Sie musste auf die Jagd gehen, um es zu beschaffen. Deswegen ist sie verschwunden.
    Nicht lang danach verschwand auch Flink, die ihr folgte, und seit diesem Tag sind zwischen Shepherd’s Bush und Cripplegate weder Mater Viae noch ihre Katzen gesehen worden.
    Und jetzt kehrt sie zurück – wer kennt schon den Grund? Vielleicht hat sie die Pflicht erfüllt, die ihr von der Synode auferlegt wurde, hat diese seltene Ware im Gepäck, die sie benötigen für ihr nächstes Experiment in todbringender Chemie.
    Trotzdem, sie ist lange Zeit fort gewesen. Und manchmal erhasche ich einen flüchtigen Blick auf Glas’ Spiegelbild in einer Fensterscheibe, wenn sie denkt, dass ich nicht hinsehe, und ihr Gesicht … Na ja, dann frage ich mich unwillkürlich, ob sie glaubt, ich hätte sie ihre Göttin gekostet, zumindest all diese Jahre lang.
    Da also gehen wir hin, Beth, falls du bereit dazu bist: hinaus in die chemischen Sümpfe, um deinen Schweiß in Benzin zu verwandeln und deine Knochen in Stahl. Wir werden nach deinem neuen Ich tauchen inmitten von Opium und Tee und scheißaltem Backstein. Ich habe von dir verlangt, dein Zuhause aufzugeben, alle Sicherheit aufzugeben, und du hast es getan. Dafür bin ich dankbar. Jetzt muss ich dich bitten, noch eine weitere Sache aufzugeben. Alles oder nichts, das ist es, Beth – ich hoffe bloß, dass es kein Sudden Death wird.
    Willst du wirklich wie ich sein?«

Kapitel 27
    Docklands: der östlichste Teil des East End, wo das dichte Gewirr von Bürotürmen und Apartmenthochhäusern allmählich in kilometerlange Reihen von flachen Betonbauten ausläuft, mit ein paar halbherzigen Parks dazwischen und unbewegten, brackigen Teichen.
    Drei der höchsten Wolkenkratzer der Stadt erheben sich mehr als zweihundert Meter über das Elend, flankiert von den etwas kleineren Türmen, die sich auf einem Inselchen in den Docks um sie scharen, jeder von ihnen ein Glitzerpalast der Juristerei oder Finanzwirtschaft. Canary Wharf ist wie eine Maske, ein Falschgesicht, das herausschreit, im East End herrsche nichts als Wohlstand. Doch im Schatten der Türme ächzen die Lagerhallen unter dem Leerstand, und abgehärmt wirkende Stammgäste verwachsen allmählich mit ihren Barhockern in den kalten Pubs.
    Willst du wirklich wie ich sein?
    Die beiden standen am Ufer, direkt vor der alten Farbstofffabrik. Beth schwirrte der Kopf. Sie starrte Fil an und sah ihre Zukunft.
    Er wich ihrem Blick aus, und Beths Herz verkrampfte sich.
    Gib dein Zuhause auf.
    Gib alle Sicherheit auf.
    Ich muss dich bitten, noch eine weitere Sache aufzugeben …
    Ein Geräusch ließ sie zur Fabrik hinüberschauen. Sechs von Kopf bis Fuß schwarze Gestalten schoben sich aus dem rostzerfressenen Koloss und kamen durch den Morast auf sie zu, umkreist von Möwen. Die Mittagssonne ließ den letzten Rest Schatten verkümmern.
    Auf den öligen Gesichtern der Männer schillerten die Farben des Regenbogens. Ein leises Schmatzen ertönte, wenn ihre Lippen sich für einen neuen Atemzug öffneten. Klick, klick, klick machten die Feuerzeuge – jeder von ihnen hatte eins in der Hand, und sie ließen sie auf- und zuschnappen, während sie näher kamen, auf und zu, auf und zu …
    Der beißende Gestank, der von ihnen ausging, drang wie Schmirgelpapier in Beths Nebenhöhlen, Tränen brannten ihr in den Augen. Fil hatte sie auf ihr Aussehen vorbereitet, auf den Geruch, sogar auf die Feuerzeuge. Das Einzige, womit sie nicht gerechnet hatte, war die Symmetrie.
    Diese Gestalten neigten die Köpfe und lächelten ihre schwarzen Lächeln vollkommen identisch. Als einer von ihnen die rechte Hand zur Begrüßung hob, tat es ihm auf der anderen Seite ein zweiter mit seiner Linken gleich. Sie huschten über den sumpfigen Grund wie seichte Wellen auf einem Ölteich, tänzerisch elegant in ihren pechschwarzen maßgeschneiderten Anzügen.
    Fil stützte sich auf seinen Speer und betrachtete ihren Aufmarsch mit hochmütiger Miene, doch Beth bemerkte das Spiel seiner Kiefermuskeln. Vielleicht hatte er keine Angst, redete sie sich ein; vielleicht kämpfte er nur gegen den Gestank.
    Der Größte aus der Chemischen Synode trat aus der Mitte

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