Der Wolkenpavillon
Euch versichern.«
»Mag sein, aber Ihr seid der beste.«
Freude spiegelte sich auf Todas Gesicht. »Ihr schmeichelt mir. Aber es wäre mir lieber ...« Unvermittelt stockte er, und sein Blick ging an Sano vorbei. »Kimura -san !«, rief er. »Ono -san ! Hitomi -san !«
Drei Personen, die inmitten der Menschenmassen über die Brücke gingen, hielten jäh inne: eine dickliche Frau, deren Haar von einem Kopftuch verdeckt wurde und die einen Korb am Arm trug. Dann war da ein Wasserverkäufer, der an einer Stange über den Schultern zwei Holzeimer hängen hatte. Die dritte Person war ein schmuddeliger Bettler in zerlumpter Kleidung.
Toda winkte die drei zu sich, und sie traten vor ihn hin. »Woher habt Ihr gewusst, dass wir es sind?«, fragte die Frau und nahm ihr Kopftuch ab, unter dem der kahl rasierte Schädel eines Samurai zum Vorschein kam; nur das Haar auf dem Scheitel war nicht rasiert, sondern lang und zu einem Knoten gebunden.
»Die Verkleidung ist nicht schlecht, Kimura -san, aber du bewegst dich wie ein Sumo-Ringer«, sagte Toda. »Niemand würde dich für eine Frau halten.« Toda wandte sich seinen anderen beiden Schülern zu. »Bei dir, Hitomi -san , sind die Wassereimer zu leicht. Ich konnte von Weitem sehen, dass sie leer sind. Sei nicht so faul! Wenn du im Einsatz bist, könnte es dich das Leben kosten! Und du, Ono -san«, sagte er zu dem Bettler, »musst besser achtgeben. Ich habe einen Händler gesehen, der vor deiner Nase eine Münze verloren hat, aber du hast sie nicht aufgehoben. Vergiss nicht, du bist ein Bettler!«
Todas Schüler ließen den Kopf hängen. »Ihr alle habt versagt bei dieser Prüfung. Zurück in den Palast mit euch!«
Die drei schlichen davon.
»Wart Ihr nicht ein bisschen hart mit den Jungen?«, rief Marume vom Rücken des Pferdes herunter. »Mir wäre ihre Verkleidung niemals aufgefallen.«
»Dann wart Ihr nicht aufmerksam genug«, erwiderte Toda. »Das solltet Ihr aber sein. Sonst besteht die Gefahr, dass Ihr jemanden überseht, der hinter Eurem Herrn herschleicht.«
Marume blickte verlegen drein. Sano überlief es eiskalt. Hatte Yanagisawa vor, ihn ermorden zu lassen? Gab er sich deshalb so freundlich, weil er wusste, dass Sano nicht mehr lange unter den Lebenden weilte?
»Also gut, ich werde für Euch arbeiten«, sagte Toda. »Unter einer Bedingung: Wenn es zu politischen Auseinandersetzungen kommt und Ihr geht als Sieger daraus hervor, wird mir nichts geschehen, und ich bekomme eine Prämie.«
Sano fand Todas Vorschlag nur recht und billig. »Findet heraus, was Yanagisawa vorhat«, sagte er, »und Euer Wunsch soll erfüllt werden.«
9.
Der Nieselregen wurde zu einem Wolkenbruch, als Reiko und ihr Gefolge nach Asakusa reisten. Als sie das Anwesen von Major Kumazawa erreichten, tropfte der Regen durch das Dach der Sänfte, sodass Reikos Kleidung binnen kurzer Zeit durchnässt war. Auf dem Innenhof stieg sie aus der Sänfte und huschte unter ein säulengestütztes Vordach über einem Gehweg, der zur Eingangstreppe der Villa führte. Der strömende Regen verwehrte Reiko den Blick auf die anderen Gebäude des Anwesens.
Auf der Veranda wurde Reiko von einer älteren Frau erwartet. »Willkommen, ehrenwerte Reiko«, sagte sie und verbeugte sich. »Wir haben Euch bereits erwartet.« Die Frau war Mitte sechzig, grauhaarig und schlicht gekleidet. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihr unscheinbares, ernstes Gesicht sah übermüdet aus, als hätte sie eine schlaflose Nacht hinter sich. »Ich heiße Yasuko«, stellte sie sich vor. »Ich bin Chiyos Mutter.« Sie führte Reiko in die Eingangshalle der Villa, wo Reiko ihren Mantel ablegte und die Schuhe auszog. »Es tut mir leid, dass Ihr bei diesem Wetter so eine lange Reise machen musstet«, erklärte Yasuko. »Es wäre einfacher für Euch gewesen, wenn Ihr Chiyo in der Stadt hättet besuchen können, aber sie kann nicht dorthin zurück. Ihr Gemahl hat sie weggejagt.«
Reiko war schockiert, obwohl so etwas alltäglich war. Frauen, die missbraucht worden waren, wurden als beschmutzt und ehrlos angesehen. Vergewaltigung wurde so ähnlich betrachtet wie Ehebruch, obwohl das Opfer schuldlos war.
»Als er gestern Abend hierhergekommen war, um Chiyo abzuholen, fand er heraus, was mit ihr geschehen ist«, erklärte Yasuko. »Jetzt will er sie nicht mehr. Er wird die Scheidung einreichen.«
»Das ist ja schrecklich«, sagte Reiko, während Yasuko sie durch die dunklen, feuchtkalten Gänge der Villa führte. Reiko wusste,
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