Der Wolkenpavillon
zu glauben, dass ausgerechnet dieser Mann ihm jetzt seine Hilfe anbot.
»Vielleicht nehme ich Euch beim Wort«, sagte Sano. »Vielen Dank.«
Die Männer verbeugten sich, verabschiedeten sich voneinander und ritten in entgegengesetzter Richtung davon. Fukida blickte über die Schulter auf Yanagisawa. »Ausgerechnet der will Euch helfen, Sano -san ?«, sagte er. »Was soll man davon halten?«
»Nichts«, warf Marume ein. »Seid auf der Hut, Sano -san. Der Kerl führt irgendetwas im Schilde.«
»Offensichtlich«, sagte Sano.
»Was wollt Ihr jetzt tun?«, fragte Fukida.
»Ich will mich nicht mehr auf Spitzel verlassen, die mir zwar berichten, was Yanagisawa zum Frühstück gegessen hat, die mir aber nicht sagen können, was er vorhat«, antwortete Sano. »Es wird Zeit, dass ich einen Fachmann für mich arbeiten lasse.«
*
Begleitet von einem Trupp Wachsoldaten, ließ Reiko sich in ihrer Sänfte durch das Stadtviertel südlich des Palasts zu Edo tragen. Hier wohnten die Provinzfürsten, die daimyo, mitsamt den Heerscharen ihrer Gefolgsleute. Über breite Hauptstraßen, auf denen es von berittenen Samurai nur so wimmelte, zogen Reiko und ihr Gefolge an Kasernen vorbei, die jedes der großen, befestigten Anwesen wie eine Mauer umschlossen. Regen setzte ein und prasselte auf das Dach von Reikos Sänfte, als die Prozession schließlich vor dem Tor eines Anwesens hielt, das dem daimyo der Provinz Idzuma gehörte. Leutnant Tanuma rief den Wachsoldaten zu: »Die Gemahlin des Kammerherrn Sano wünscht die Gemahlin des Hauptmanns Okubo zu sprechen.«
Einer der Wachsoldaten öffnete das Tor und schickte einen Boten los, um Reikos Erscheinen zu melden. Reiko hatte den Bericht über den Kumazawa-Klan gelesen und wusste daher, dass Chiyo zu den Hofdamen gehörte, die gemeinsam mit ihrem Mann auf dem Anwesen des daimyo wohnten. Sie hoffte nur, dass Chiyo hier die Aufmerksamkeit und die Fürsorge bekam, die sie nach diesen schrecklichen Erlebnissen brauchte.
Schließlich erschien ein Diener am Tor, sprach kurz mit den Wachsoldaten und schüttelte den Kopf. Einer der Soldaten wandte sich an Leutnant Tanuma. »Es tut mir leid, aber die Gemahlin von Hauptmann Okubo wohnt nicht mehr hier. Sie befindet sich im Haus ihres Vaters in Asakusa.«
*
Sano und sein Gefolge ritten durch Nihonbashi, über die Brücke, die denselben Namen trug wie der Fluss, den sie überspannte, und wie das Händlerviertel, in dem sie sich befand. Auf der Brücke wimmelte es von Menschen. Träger schleppten das Gepäck reicher Samurai, die in der Sänfte reisten; Bauersfrauen mit Körben bahnten sich forsch einen Weg durch die Scharen bettelnder Kinder, Stadtstreicher und Mönche; Polizisten gingen Streife. Unter der Brücke trieben Barken auf dem schmutzig braunen Wasser. An den Anlegestellen stapelten sich Bauholz und Bambuspfähle, Gemüsesäcke und Kisten voller Kohle vor den langen Reihen der Lagerhäuser. Feiner Nieselregen hing so schwer und feucht in der Luft, dass er alle Geräusche dämpfte: das Kreischen der Möwen, das Klatschen der Ruder und das Stimmengewirr der brodelnden Menschenmenge. Die Schwüle verstärkte den Gestank, der vom Fischmarkt am nördlichen Ende der Brücke herüberwehte.
Sano ließ den Blick über die Menge schweifen und hielt nach Toda Ikkyu Ausschau, dem Meisterspion. Bevor er losgeritten war, hatte er bereits jene Gemächer im Palast aufgesucht, in denen die metsuke untergebracht waren, die Geheimdienstleute der Tokugawa. Dort hatte Sano von einem Schreiber erfahren, dass Toda an der Nihonbashi-Brücke im Einsatz sei. Sano wusste aus Erfahrung, dass es äußerst schwierig war, Toda in einer Menschenmenge ausfindig zu machen. Der Spion hatte ein Allerweltsgesicht und war so unscheinbar, dass er überhaupt nicht auffiel - in seinem Beruf ein unschätzbarer Vorteil. Wann immer Sano an Toda dachte, gelang es ihm nicht, sich das Gesicht des Spions vor Augen zu führen, obwohl er ihn seit mehr als zehn Jahren kannte.
Als Sano in die Gesichter der Samurai blickte, die an ihm vorüberzogen, rief er sich ins Gedächtnis, was er vor ein paar Monaten in einem Geheimdossier über Toda gelesen hatte: Der Meisterspion hatte sein Leben als sutego begonnen, ein Waisenknabe, von den Eltern verlassen - ein Schicksal, das in Japan Tausende von Kindern ereilte. Niemand wusste, woher Toda eigentlich stammte. Wie seine Leidensgefährten hatte er sich als Kind mit Diebstählen durchgeschlagen. Eines Nachts - er war zwölf Jahre alt -
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