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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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ihn zurecht, obwohl sie nachempfinden konnte, wie der Junge sich fühlte. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie es war, wenn man darauf brannte, als Ermittler zu arbeiten, und es einem nicht erlaubt wurde. Früher hatte Sano ihr ebenfalls untersagt, sich an seinen Nachforschungen zu beteiligen - mit der Begründung, Frauen seien dazu nicht in der Lage und die Tradition verbiete es. Reiko hatte sich nur deshalb durchgesetzt, weil sie die Sache selbst in die Hand genommen und durch ihre Erfolge das Gegenteil bewiesen hatte. Dennoch konnte sie Masahiros Benehmen nicht dulden. »Widersprich deinen Eltern nicht!«, sagte sie streng.
    Masahiro senkte den Kopf. »Es tut mir leid. Bitte verzeiht mir. Aber ... wie lange muss ich denn noch warten, bis ich Ermittler werden kann?«
    Reiko spürte, wie wenig Sano der Gedanke gefiel, dass sein Sohn in seine Fußstapfen treten und in Diensten des Shōgun auf Verbrecherjagd gehen wollte - ein Beruf, bei dem man ständig in Todesgefahr geriet.
    »Bis du fünfzehn bist«, antwortete Sano auf die Frage seines Sohnes.
    Mit fünfzehn erreichte ein Samurai das Mannbarkeitsalter. Dann durfte er heiraten, sich seinen Lebensunterhalt verdienen, durfte im Krieg kämpfen und erwarb die Rechte und Pflichten eines Erwachsenen. Bei diesem Gedanken wurde Reiko einmal mehr schmerzlich bewusst, wie schnell die Zeit verging; ehe sie sich's versah, würde Masahiro ein Mann sein.
    »Das ist ja noch eine Ewigkeit!«, jammerte Masahiro. Obwohl reif und beherrscht für sein Alter, war er den Tränen nah. »Kann ich denn gar nichts tun?«
    »Nein«, antworteten Sano und Reiko wie aus einem Mund. Masahiro hatte für sein Alter schon zu viel Schreckliches erlebt. Und auch wenn die Ermittlungen in Chiyos Fall innerhalb der eigenen Familie bleiben würden und auch nicht die Gefahr bestand, dass der Shōgun sich einschaltete, hatten eine Entführung und eine Vergewaltigung ihre ganz eigenen Schrecken, denen ein Kind nicht ausgesetzt werden sollte.
    »Aber ...«, setzte Masahiro an.
    »Schluss jetzt!«, sagte Sano streng, obwohl Reiko wusste, wie sehr es ihn schmerzte, seinen Sohn enttäuschen zu müssen. »Unsere Entscheidung ist endgültig.«

8.

    Die aufgehende Sonne schimmerte blass und fahl durch aufziehende Gewitterwolken hindurch, als Sano sein Anwesen verließ, begleitet von den Ermittlern Marume und Fukida und von seinem Gefolge. Als sie zum Haupttor ritten, tropfte das Wasser von den Dächern der Wehrgänge hoch oben an der Palastmauer auf die Strohhüte und Regenumhänge der Männer. Dunst und Regenschleier verwehrten den Blick auf die grünen Hügel weit draußen vor der Stadt. Das Läuten von Tempelglocken hallte über das Land, verstummte dann aber rasch, als wäre es von der feuchtheißen Sommerluft erstickt worden.
    Eine andere Gruppe berittener Samurai, die von Yanagisawa angeführt wurde, kam Sano und seinen Leuten entgegen. »Guten Tag, Sano -san«, grüßte Yanagisawa, zügelte sein Pferd und verbeugte sich höflich. »Ich habe gehört, was mit Major Kumazawas Tochter Chiyo geschehen ist. Das tut mir aufrichtig leid.«
    Yanagisawas Mitgefühl schien ehrlich gemeint zu sein, doch Sano war sofort auf der Hut. Er wusste, dass Yanagisawa sich ständig auf dem Laufenden hielt, was seine Rivalen anging - schließlich machte Sano es bei Yanagisawa und anderen Gegnern genauso. Dennoch war er beunruhigt, wie gründlich Yanagisawas Spitzel arbeiteten. »Neuigkeiten verbreiten sich schnell«, sagte er.
    »Ja. Besonders, wenn es um den Onkel und die Cousine eines Mannes geht, der so wichtig ist wie Ihr«, entgegnete Yanagisawa.
    Also wusste er auch schon von den verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Sano und dem Kumazawa-Klan. Sano fragte sich, ob Yanagisawa einen Spitzel in das Haus seines Onkels eingeschleust hatte. »Welche Informationen habt Ihr Euch sonst noch beschafft?«, fragte er mit ironischem Unterton.
    »Ich habe nicht halb so viele Informationen wie Ihr, da bin ich sicher«, erwiderte Yanagisawa und lächelte freundlich. »Ich nehme an, Ihr macht Euch jetzt auf den Weg, um den Täter zu jagen, der das Verbrechen gegen Euren Klan verübt hat, nicht wahr?«
    »So ist es.«
    »Nun, dann wünsche ich Euch viel Glück. Falls Ihr meine Hilfe braucht, stehe ich Euch gern zur Verfügung.«
    Erinnerungen durchzuckten Sano. Er sah sich und Yanagisawa, wie sie sich in verbissenem, tödlichem Zweikampf im Schlamm wälzten, wobei Yanagisawa seinen Hass und seinen Blutdurst hinausschrie. Es war kaum

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