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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht. Ich beobachte. Die Beobachtung der Menschen ist ein Studium wert. Man sollte einen Lehrstuhl für Umweltpsychologie einrichten. Kein zoologischer Garten ist so interessant und voller Überraschungen wie die menschliche Gesellschaft.«
    »Sie sind Rheinländer?«
    »Nein. Bayer. Lachen Sie nicht.«
    »Und lesen eine Kölner Zeitung? Warum nicht die Süddeutsche?«
    »Sie kennen Deutschland anscheinend gut.«
    »Ich habe zwei Jahre in Hamburg und drei Jahre in München studiert. Mein Fachgebiet war Medizin«, sagte der unbekannte Araber.
    »Sieh an. Ein Kollege.«
    »Sie sind Arzt? Welch ein Zufall!«
    »Ich lebe gegenwärtig nur von Zufällen.« Vandura genoß diese leichte Trauer in seiner Stimme. Der Mann neben ihm zog leicht die Augenbrauen hoch, und seine Augen bekamen einen nachdenklichen, musternden Blick. »Im übrigen habe ich mir angewöhnt, nur Zeitungen zu lesen, in denen nichts von München steht.«
    »Sie machen Urlaub im Libanon?«
    »Nein. Ich lebe hier. Seit genau drei Wochen. Kennen Sie Deir el Achayir? Nicht? Es liegt im Libanon, ist ein elendes Dorf an der Wüstenpiste nach Damaskus, abseits der großen Straße, an einem Wadi, das nur in der Regenzeit Wasser führt, 990 Menschen leben dort, und 548 von ihnen haben alle Krankheiten, die die Wüste zu bieten hat – von der Syphilis bis zur chronischen Darminfektion, von der Tuberkulose bis zum Skorbut. Nur Arteriosklerose kennen sie nicht. Ist das ein Witz? In Deir el Achayir fehlt ein Arzt. Der nächste ist Rachaya, auf Umwegen vierzig Kilometer entfernt. Ich habe ihn kennengelernt. Dr. Ahmed Shufa. Vierundsiebzig Jahre alt. Zwei Heilgehilfen tragen ihn auf einer Sänfte zu den Kranken, denn er kann vor Gicht kaum gehen.« Dr. Vandura griff nach dem Glas mit Fruchtsaft. »Dort, in dem Wüstennest, werde ich eine Praxis eröffnen. Die Dorfbewohner und die durchziehenden Beduinen werden mir genug zum Leben bringen.«
    »Und warum gehen Sie nicht zum Gesundheitsminister? Der Libanon braucht gute Ärzte. In Beirut, Tripoli, Saida. Baalbek oder Tyrus nähme Sie jedes Krankenhaus mit offenen Armen auf.«
    »Das ist mir alles zu nahe der Zivilisation.« Dr. Vandura trank das Glas leer. Ein Kellner in weißen Pluderhosen und einer engen, weißen Jacke kam sofort und erneuerte das Getränk. Er hatte seinen Platz hinter der linken Tür zum oberen Speisesaal und übersah so die ganze Terrasse. »Die ersten Ärzte tauchten aus der Wüste auf, wissen Sie das? Aus dem ägyptischen Sandmeer jenseits des Nil, aus den chinesischen Lößbergen, aus der arabischen Wüste. Ich mache es umgekehrt – ich kehre zu den Quellen zurück.«
    »Freiwillig?«
    Vandura blickte den Araber verschlossen an. Seine Abwehr war deutlich in der Stimme.
    »Was geht das Sie an?«
    »Man sollte Menschen auch einmal vertrauen.« Der Araber lächelte charmant. Das Bärtchen auf der Oberlippe tanzte.
    »Stört es Sie, wenn ich meinen Namen nenne? Mustapha Karabasch.«
    »Ein Name wie aus meinen Kinderbüchern. Da gab es einen Mustapha, der ritt mit einem weißen Hengst über einen Salzsee. Ich heiße Ralf Vandura.«
    »Vandura? Kein deutscher Name.«
    »Meine Vorfahren wanderten aus Bulgarien nordwärts an die Isar. Aber dieser Irrtum ist schon lange her. Ich bin Deutscher. Soll ich Ihnen auch einen Drink bestellen?«
    »Schon unterwegs.« Karabasch lächelte wieder gewinnend. »Wir bestellen mit den Augen.«
    »Sie sagten da eben etwas von Vertrauen.« Vandura blickte hinunter zum Hafen. Die vollbusige, nackte Frau hatte sich jetzt angezogen. Einen gelben Hosenanzug. Um die schwarzen Haare flatterte ein rotes Chiffontuch. Ein Matrose fuhr das Fallreep aus auf den gemauerten Quai. Der Mann im weißen Anzug setzte einen Panamahut auf. Amerikaner, dachte Vandura. Wir werden sie nachher beim Lunch im Speisesaal treffen. Eins ist sicher – seine Frau ist sie nicht. Überall und immer das gleiche Lied …
    »Darf ich als Kollege frei zu Ihnen sprechen?« fragte Karabasch.
    »Wenn Sie keine weiteren Fragen stellen – ich unterhalte mich gern.«
    »Ich habe eine andere Stelle für Sie. Bitte, unterbrechen Sie mich nicht. Ich frage nicht, aber ich ahne, daß Sie alle Brücken zu Deutschland hinter sich abgebrochen haben. Warum – gleichgültig! Sie haben sich entschlossen, der ganzen Welt zu gehören.«
    »Das ist sehr wirkungsvoll ausgedrückt.«
    »Aber warum soll ein guter Arzt in die Wüste gehen? In ein Dorf voller Flöhe und Hundedreck?«
    »Flöhe kann man ausrotten, und Hunde habe

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