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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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glauben.
    Er nahm die große Schere und begann, zunächst das vom Eiter zerfressene Muskelgewebe und die nekrotisch gewordenen Stellen auszuschneiden. Dann tupfte er die schreckliche Wunde sauber, öffnete sie weiter und holte mit einer spitzen Pinzette den vergessenen Granatsplitter heraus. Er hatte sich in den Knochen gebohrt wie ein Dorn in eine Haut. Vandura hielt das Stückchen mit der Pinzette hoch.
    »Zehn Millimeter groß ist der Tod. Erschreckend, was? Da gibt es Gehirne, die eine ganze Welt verändern können, und dann kommen zehn Millimeter geflogen, und aus ist alles! Ist das nicht lächerlich?!« Er warf den Granatsplitter in den Sand und beugte sich wieder über das Bein.
    »Wird er sterben?« fragte Dr. Ashraf.
    »Vielleicht. Die Sepsis ist zu weit vorgeschritten. Ich will alles versuchen. Ein paar Tage früher –«
    »Sie sagen es, Vandura.« Karabasch trat neben ihn und blickte auf die schlanken Hände, die den letzten Eiter aus der Wunde räumten. »Damit wir nie wieder bei einem Menschen zu spät kommen, brauchen wir Sie. Sehen Sie das jetzt ein? Bleiben Sie?«
    »Ja. Aber ich hasse die Revolution, damit das ganz klar ist!«
    »Ich danke Ihnen.« Karabasch atmete tief auf. »Wir zahlen Ihnen 200 jordanische Dinare, das sind 2.200 Deutsche Mark.«
    »Ich brauche ein Bett, zu essen und zu trinken, ab und zu einen Cognac und täglich fünfzig Zigaretten – das ist alles! Behalten Sie das Geld.«
    »Und wie ist es mit einer Frau?«
    »Danke, Kollege.« Vandura lächelte schief. »Ich bin mit der Erinnerung verheiratet …«
    Er operierte bis drei Uhr nachts. Neununddreißig Verwundete schob man ihm auf den OP-Tisch. Um ein Uhr nachts baute Dr. Ashraf ab und schwankte auf seine Pritsche im Schlafzelt. Den Krankenpflegern tränten die Augen vor Erschöpfung. Vandura operierte wie eine Maschine – und neben ihm stand ungerührt Laila Husseini, stumm, präzise assistierend, ohne ein Zeichen von Schwäche, ein Bündel unheimlicher Energie.
    »Schluß!« sagte Vandura um drei Uhr und legte die Instrumente hin. »Sie kippen mir sonst um, Laila.«
    Sie blickte ihn an, schob die Mullkappe aus der Stirn und rieb die Hände an der Gummischürze.
    »Nicht neben einem Mann«, sagte sie hart. »Aber Männer sind selten.«
    In München wurde unterdessen die Akte Vandura geschlossen, die Fahndung zurückgezogen, das Karteiblatt bei der Interpol im Papierwolf vernichtet. Die Obduktion im Gerichtsmedizinischen Institut hatte eindeutig ergeben: Herztod. Fulminante Lungenembolie.
    Kommissar Brandtner atmete auf. Dr. Zemmitz war enttäuscht, schickte Katja einen Blumenstrauß und sprach sein Beileid aus. Damit hatte es sich – über Vandura kein Wort. Wer flüchtet, ist schuldig, auch wenn er unschuldig ist. So paradox ist das Leben. Nur ein Schuldgefühl treibt zur Flucht.
    »So sind wir ihn auf elegante Art los«, sagte er am Ärztestammtisch. »Es bleibt die standeswidrige Tat, daß er heimlich meinem Patienten Injektionen verpaßte. Schwamm drüber. Es kehrt Ruhe ein im Schrebergarten.«
    Das Begräbnis Hellersens war ein gesellschaftliches Ereignis. Noch nie hatten an einem Grab auf dem Münchener Waldfriedhof so viele Vereine gestanden, Fahnen gesenkt, Sprüche hergesagt, Lieder gesungen, von Kameradschaft gesprochen und Sträußchen auf den Sarg geworfen. Die neuesten Trauermodekreationen wurden dabei vorgeführt … Frau Direktor Schully schoß dabei den Vogel ab: schwarzer Breitschwanz mit Zobelbesatz. Direktor Schully hatte einen guten Steuerberater.
    Dann war Stille in Grünwald. Die Witwe Katja bekam den Groll der Gesellschaft zu spüren. Sie hätte ihren Mann betrügen können, mein Gott, man hat Verständnis dafür, keiner geht als Engel ins Grab – aber gerade mit Dr. Vandura! Mit ›unserem‹ Vandura?! Das war ein Ehebruch gegen hundert andere Frauen. Das verzieh man ihr nie. Grünwald war ohne Vandura ärmer geworden. Der Mülleimer der Seele fehlte. Man mußte jetzt wieder auf normale Hausfreunde zurückgreifen. Ein langweiliges Vergnügen.
    Katja Hellersen wurde eine Paria, eine Ausgestoßene. Selbst Dr. Zemmitz mied sie – erstens wollte er nicht über Vandura sprechen, und zweitens lebte seine Privatklinik von gerade diesen katjageschädigten Frauen.
    »Was geschieht nun?« fragte Katja, nachdem sich der Sturm gelegt hatte. Sie saß im Polizeipräsidium Kommissar Brandtner gegenüber, eine Frau, die Wiedergutmachung forderte.
    Wiedergutmachung von Behörden ist ein Unding. Behörden haben immer

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