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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hypnotisiert. Es klopfte wieder an der Tür – vier Plastikeimer mit Wasser wurden hereingeschoben. Laila setzte den Kupferkessel mit den Instrumenten vom Kocher und stellte einen neuen Kessel darauf. Interessiert betrachtete Vandura den Aufbau des ›OP-Tisches‹. Die Kiste unter dem Kopf Lauras war wesentlich kleiner und niedriger als die anderen. Mit zwei Koffern war das Brett auf eine Ebene gebracht worden. Laila nickte, ehe Vandura fragen konnte.
    »Wir können nach Eröffnung der Bauchhöhle kippen«, sagte sie. »Koffer weg, und die vorschriftsmäßige Schräglage ist erreicht. Lehrbuch für gynäkologische Operationen. Durch die Kipplage rutschen die Därme nach oben, das Operationsfeld ist freier, man kann besser an die Blase …«
    »Laila, du bist ein Schatz.« Vandura streifte die dünnen OP-Handschuhe über. »Joan, wenn Sie umfallen, verhaue ich Ihnen hinterher noch den Po!«
    »Ich falle nicht um.« Joan Watson lächelte schwach. »Ich habe einen Erste-Hilfe-Kurs hinter mir.«
    »Dann los!« Vandura griff nach dem Skalpell. Laura Perlucci atmete röchelnd unter ihrer Äthermaske. Laila kontrollierte noch einmal Puls, Herztätigkeit und Atmung.
    »In Ordnung.«
    Sie stellte sich Vandura gegenüber, legte sich die Gefäßklemmen zurecht, die Scheren und Tupferhalter. Auf einem großen weißen Tuch schimmerten Pinzetten, Kugelzangen, Bauchschaufeln, Körtehebel, Roux-Haken, Geburtenzange, Küretten und große Stieltupfer. Und plötzlich lächelte sie.
    Vandura sah sie fragend an. »So fröhlich, Laila?«
    »Ich habe noch nie einen nackten Chirurgen operieren sehen.«
    »Dann bewundern Sie ihn gleich, wenn er mit Blut bespritzt ist.«
    Er beugte sich über den prallen gewölbten Leib, setzte das Messer an und machte den ersten Schnitt.
    Blutgeruch mischte sich in die heiße Luft.
    Pfannenstielschnitt – Eröffnung der Bauchhöhle – Fixation des Peritoneums mit Mikulicz-Klemmen …
    »Bauchtücher!« Vandura blickte kurz zu Joan Watson. Sie starrte mit weiten Augen auf die klaffende Wunde. Laila setzte die Klemmen, machte die Ligaturen, umstach blutende Gefäße. »Abzählen, Joan …«
    »Eins … zwei … drei … vier …« Joans Stimme wurde kleiner, versank dann völlig. Aber sie reichte weiter an. Vandura deckte die Operationswunde ab und stopfte mit den Bauchtüchern die Bauchhöhle ab. Laila setzte die Bauchschaufeln ein, der pralle Uterus quoll hervor.
    »Lange Präparierschere –«
    Vandura schob die Blase vom Uterus. In seinem Inneren bewegte es sich schwach.
    Das Kind.
    In wenigen Minuten trat es an das Licht dieser Welt. Geboren in der Wüste, auf Kisten und Brettern, in einem Flugzeug, das von Rebellen entführt worden war, bei fünfzig Grad Hitze, umweht vom Sandwind, aus dem Mutterleib geholt von einem deutschen Arzt und einer jordanischen Medizinstudentin, bewacht von fanatischen Kriegern, Geisel einer Revolution … welch ein Beginn!
    Wie wird die Welt aussehen, wenn dieses Kind einmal erwachsen sein wird? In zwanzig, dreißig oder noch mehr Jahren?
    Gab es dann noch Kriege? Rebellen? Völkervernichtung? Unrecht? Lüge? Mißwirtschaft? Hunger? Elend? Armut? Korruption? Diktatur? Verblendung? Fanatismus?
    Es wird sich nichts geändert haben – es sei denn, es gäbe in dreißig Jahren keine Menschen mehr. Denn der Mensch bleibt immer ein Kind – er baut aus Steinchen und Hölzchen, aus Klötzchen und Brettchen einen Turm, betrachtet ihn voll Stolz und wirft ihn dann mit einer Handbewegung um. Die Lust an der Zerstörung – kein Tier kennt dieses Wonnegefühl, kein Ding in der Natur – nur der Mensch! Ihm dieses Gefühl zu geben war die Rache Gottes, als der Mensch von sich sagte, er sei ein Ebenbild des Herrn.
    Vandura beugte sich über den Uterus. Die lange Schere blitzte in seiner Hand.
    Die Sekunde der Geburt.
    Draußen, um das Flugzeug herum, ertönten Schüsse. Maschinengewehre, die beiden leichten Flaks. Ein helles Brummen drang bis in den glühheißen, blutstinkenden Gepäckraum.
    Ein Aufklärer der jordanischen Luftwaffe.
    Die Welt war aufgerüttelt. Sucht das Flugzeug! Rettet die Männer, Frauen und Kinder!
    Die Telefonleitungen schwirrten, die Fernschreiber tickten. In den Redaktionen aller Zeitungen und Rundfunkanstalten liefen die Schreibmaschinen heiß, wurden die Titel geändert, die Aufmacher ausgewechselt, die Fernseh- und Rundfunknachrichten umgestellt.
    155 Geiseln, irgendwo in der Wüste. Der letzte Funkkontakt kam aus Beirut.
    »Wir fliegen irgendwohin …«

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