Der Wüstendoktor
lächelte etwas verzerrt. Das Hotel glich einer Festung. Wie im Intercontinental hatte man an die Balkontüren die Matratzen geschoben – den großen Eingangstüren wagte sich niemand zu nähern. Die zu Gefangenen gewordenen Reisenden saßen herum, gruppierten sich um die Transistorradios, diskutierten die Lage und schrieben Beschwerden an ihre Regierungen. Eine halbe Kompanie Guerillas hatte das Luxushotel besetzt und hielt an allen Ausgängen Wache. Dr. Karabasch hatte den Befehl gegeben: »Die Europäer werden mit größter Zurückhaltung behandelt. Niemand wird berührt, wenn es nicht zur Aufrechterhaltung der Ordnung unbedingt notwendig ist. Auf Plünderungen oder Diebstahl befehle ich die sofortige Todesstrafe.«
Ein harter Befehl, aber Karabasch kannte seine Wüstensöhne. Am Morgen dieses Tages hatte er mit der Kälte eines unbeirrbaren Despoten seinen Befehl ausführen lassen: Drei Plünderer, die im Hotel die Zimmer durchsucht hatten und Dollars, Uhren und Schmuck eingesteckt hatten, wurden im Hof des Hotels vor einer Abordnung der Gäste hingerichtet. Ein Peleton erschoß die drei, dann schlug man ihnen die Köpfe ab, steckte sie auf Speere und rammte diese in den Sand. Ein Mahnmal der Macht und ein Denkmal des Gesetzes … Im Philadelphia wurde nicht mehr gestohlen.
Vandura winkte ab, als sich die Meute der Reporter auf ihn stürzte. »Zuerst mein Patient«, rief er in die Menge, die ihn umdrängte. »Später stehe ich Ihnen Rede und Antwort.« Abrupt wandte er sich ab.
»Nur eine Frage vorweg!« rief jemand aus der Menge. »Sind Sie wirklich Deutscher?«
»Ja.«
»Und der große Hakim-Pascha?«
»Man nennt mich hier so. Ich habe mir den Namen nicht gegeben. Bitte – lassen Sie mich durch …«
Er stieg die Treppen hinauf – die Aufzüge waren stillgelegt – und hörte sich das Lied an, das der zweite Hoteldirektor anstimmte. Katja blieb zurück – sie wurde abgedrängt und ging zwischen den wogenden Köpfen der Reporter unter.
»Sie kennen Dr. Karabasch gut«, sagte der Hoteldirektor und rang die Hände. »Sagen Sie ihm, daß er mein Haus schont. Wir sind das berühmteste Hotel in Jordanien. Wer auch gewinnt – ob der König oder Karabasch –, das Land braucht die Devisen, die unser Hotel hereinbringt. Sagen Sie ihm das. Man kann keine Kuh schlachten, solange sie Milch gibt. Ich habe meinen Sekretär auch zum Kommandanten der königlichen Truppen geschickt – man weiß ja nie, wie die Sache ausläuft. Er hat versprochen, das Hotel zu schonen.«
»Wo liegt die Kranke?« fragte Vandura knapp.
»Zimmer 318, Hakim-Pascha.«
Der Hoteldirektor verbeugte sich tief. Im Orient ist der Große immer eine Verneigung wert – man vergibt sich nichts dabei, aber man gewinnt immer. Jeder Mensch fühlt sich geschmeichelt, wenn man sich vor ihm verbeugt.
Vandura blieb eine halbe Stunde bei der Kranken. Der Arzt aus London saß an ihrem Bett und begrüßte den geheimnisvollen Kollegen kritisch und mit der zurückhaltenden britischen Art. Erst als er erfuhr, daß Vandura Deutscher war, löste sich das Pokergesicht.
»Ich habe nur dumme Tropfen bei mir«, sagte er. »Der Kreislauf ist mehr als labil. Die Aufregung der beiden letzten Tage … Miß Fulham ist arm dran. Und die Apotheke hier? Die Guerillas lassen keinen 'raus, und der Apotheker ließ mitteilen, er habe nichts als Rizinus. Man behandelt uns hier wie Vieh –«
Vandura blickte den Arzt aus London kurz an, ehe er sich über Miß Fulham beugte und die Decke zurückschob. Sie war eine spitzgesichtige Frau, und Vandura dachte, sie könne Lehrerin oder Gouvernante oder etwas Ähnliches sein. Es stellte sich heraus, daß Miß Fulham Klavierlehrerin in Birmingham war.
»Fünfhunderttausend Palästinaflüchtlinge haben nicht einmal reines Wasser«, sagte Vandura und holte sein Stethoskop aus der Tasche. Er zog Miß Fulham das Hemd über die Brust. Sie errötete und schloß schamhaft die Augen, »Über hunderttausend Kinder spielen im Kot, ihre Bäuche treiben vor Hunger auf, ihr Haar wird weiß in vorzeitiger Vergreisung.«
»Wollen Sie mich dafür verantwortlich machen?« rief der Arzt aus London empört. Er schnaufte durch die Nase und schruppte nervös mit den Fingern. Vandura dachte plötzlich an Karabasch. Ein fremdes Gefühl der Zusammengehörigkeit überkam ihn. Du bist ein Phantast, Mustapha, dachte er. Deine Revolution ist Operette – aber der Grund ist ernst, bitterernst, so ernst, daß die Welt wirklich aufgerüttelt werden
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