Der Wüstendoktor
…
»Was geschieht mit den Geiseln?« fragte Vandura, als er Karabasch gegenübersaß. Er trank Kaffee, gesüßt mit Honig.
»Sie werden Ende der Woche ausgeflogen. Aber das weiß noch keiner.« Karabasch musterte Vandura finster. »Und wozu entscheiden Sie sich?«
»Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
»Wir werden dafür sorgen, daß auch diese Katja Hellersen Jordanien verläßt, ob es Ihnen paßt oder nicht, Hakim-Pascha. Ich bin es dem Herzen Lailas schuldig.«
»Überschreiten Sie damit nicht Ihre Kompetenzen, Karabasch?«
»Lassen Sie diese dämliche Rhetorik!« schrie Karabasch. Er sprang auf und stützte sich auf beide Fäuste. »Sprechen wir klar: Ich habe hier die Macht. Ich bestimme, was geschieht! Ich ordne an, was Recht ist oder nicht! Und ich gebe den Befehl, den zu liquidieren, der das nicht glaubt. Ist das klar genug?!«
»So eisklar wie jede Diktatorensprache! Sie haben große Vorbilder Karabasch. Aber lernen Sie aus der Geschichte: Diktatoren wurden von sich selbst gefressen. Sie starben an Eigenfraß. Sie begehen den gleichen Fehler … Sie schmecken sich zu gut!«
»Katja!« Dr. Karabasch hieb auf den Tisch. »Katja oder Laila! Das ist keine Frage mehr, Hakim-Pascha, das ist Ihr Schicksal! Wählen Sie Katja, wird Laila Sie töten! Wählen Sie Laila, stirbt für Sie Europa – für alle Zeit! Sie werden ein Teil der Wüste. Aber wie Sie sich auch entscheiden – von mir aus bekommen Sie keine Flugerlaubnis. Ich behalte Sie hier, solange ich Sie brauche. Und Sie werden bleiben, das weiß ich … Ich lege jeden Tag einen Haufen Verwundete vor Ihre Tür. Ich möchte sehen, ob Sie die Kühnheit haben, diese Verleugnung Ihres Ethos, über die Stöhnenden hinwegzusteigen und zu einem Flugzeug zu flüchten. Ich weiß, der Fuß, den Sie zuerst erheben, wird in der Luft stehenbleiben.« Karabasch setzte sich wieder. »Wollen Sie jetzt noch etwas fragen?«
Vandura schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Sie haben immer eine teuflische Logik, Karabasch. Und doch ist da noch eine Frage: Was macht ein Mann, der zwei Frauen liebt?«
»Er fragt sich.«
»Er schreit sich schon an und bekommt keine Antwort.«
»Er muß sich entscheiden. Wozu ist er ein Mann?«
»Und wenn er keinen Ausweg findet?«
»Das gibt es nicht. Der Mann sollte die Konsequenzen überdenken, bei der einen Frau, bei der anderen Frau. Da, wo die Konsequenzen am geringsten sind, sollte er bleiben.«
»Danke.« Vandura erhob sich. Er zog seine Dschellaba enger um sich und rückte den Stirnring höher. »Ich sehe, Sie bleiben Theoretiker – in der Politik wie in der Liebe. Noch eins: Wo sind die Geiseln der ersten Maschine?« Betont ruhig stellte Vandura diese Frage an Karabasch.
»Sie treffen heute im Hotel Philadelphia ein.«
Tatsächlich – sie kamen in vier Bussen an, tauchten aus der Wüste auf, als habe man sie dort aus Sand gebacken, und betraten die Hotelhalle wie ein unerklärbares Paradies.
An der Spitze schritt Pfarrer McClean, ihm folgten Flugkapitän Perkins, die Stewardessen Dorothy und Joan und dann eine Trage, auf der Laura Perlucci lag, ihr Kind unter der Decke umklammernd. Auch Pierre Nolet, der Herzkranke, lebte noch – er stützte sich auf zwei Passagiere und lief keuchend, Schritt um Schritt, eine wandelnde Leiche.
Wieder hatten die Reporter alle Hände voll zu tun, diese mit Staub gepuderten Gestalten zu knipsen und sofort zu interviewen. Die Hotelleitung verteilte sie auf die Zimmer, man gab den halb Verdursteten Fruchtsäfte zu trinken und beratschlagte dann, ob man wieder diesen Hakim-Pascha holen sollte oder ob der Arzt aus London allein genüge.
»Nicht wieder diesen Lackaffen!« sagte der Londoner Kollege scharf. »Ein Mensch, der mit diesen roten Affen sympathisiert, ist für mich tot!«
Man beschloß nach langer Beratung, doch noch einmal Vandura zu holen. Die Versorgung der Kranken war wichtiger als die politische Einstellung. Ein Bote wurde zu Dr. Karabasch geschickt und kam nicht wieder. Auf dem Rückweg wurde ihm von einer Granate der Leib aufgerissen. Er verblutete irgendwo zwischen den Häusern Ammans, und seine Leiche wurde, wie hundert andere, als unbekannt in eine Grube geworfen und von den Totenräumkommandos der Rebellen zugeschüttet. Schon wehte ein widerlich süßlicher Leichengeruch durch die Stadt – die Sonne zersetzte die Toten schneller, als man sie finden und bestatten konnte.
Katja saß allein in der weiten Halle und wurde von den anderen Gästen gemieden. Es hatte sich
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