Der Wüstendoktor
und blieb dann auf der Straße stehen. Es war eine gerade, weit übersehbare Strecke, und wenn Katja sie entlanggelaufen wäre, hätte Laila sie noch sehen müssen. Aber die Straße war leer bis auf die Jordanier, die hin und her huschten wie große Ratten. Das Artilleriefeuer der Königstruppen war jetzt auf einen anderen Stadtteil verlegt – aus den Häusern kamen die Bewohner, plötzlich trotteten wieder Esel über die Straße, Autos fuhren, drei Kamele schritten stolz mit riesigen Säcken über den Höckern zum Römischen Theater. Es war, als sei nie ein Schuß gefallen – nur die Toten blieben liegen wie Abfall. Man ging um sie herum. Irgend jemand würde sie schon aufsammeln. Die Guerillas hatten eigene Begräbniskommandos. Warum sich einmischen? Allah sei's geklagt – man erntet doch nur immer Undank.
Laila hetzte weiter. Ein paarmal hielt sie Frauen und Männer an, die ihr entgegenkamen, und fragte sie: »Habt ihr eine weiße Frau gesehen? Sie muß hier entlanggerannt sein! Erinnert euch!«
Aber die Jordanier schüttelten nur die Köpfe, lauschten mit einem Ohr dem Kampflärm und ließen Laila stehen.
Unschlüssig sah sie sich um. Sie muß sich in einem dieser Häuser versteckt haben, dachte sie. Oder hat sie ein Auto genommen, das zufällig an ihr vorbeifuhr? Sie ballte die Fäuste, steckte sie in die Taschen ihrer Uniformhose und begann, die Häuser zu mustern. In welch ein Haus würde eine Europäerin flüchten, dachte sie. Nicht in eine verfallene Hütte, sondern in ein Haus, das nach ihrer Mentalität einen vertrauenerweckenden Eindruck macht. Armut ist bei ihnen gleichbedeutend mit Minderwertigkeit. Dieser weiße Hochmut, Allah verdamme ihn.
Sie erinnerte sich an ihre Studienjahre in Deutschland. Die Zimmersuche.
»Ach, Sie kommen aus Palästina? Interessant. Aber leider – das Zimmer ist vor einer Stunde vergeben worden. Tut mir leid …« Die nächste Adresse. Ein Blick aus kritischen grauen Augen. »Ausländer? Leider besetzt.« Drei Tage, vier Tage, treppauf, treppab … die neunundzwanzigste Adresse. Ein Mann, groß, breit, rosiges Gesicht, Kahlkopf. Ein Blick, der sie auszog und unter die Haut kroch. »Herein, herein!« rief der Mann. »Natürlich ist das Zimmer frei, auf so etwas habe ich gewartet. Araberin, was? Wüste und Wind – hab's mal im Kino gesehen. Und Pfeffer im Blut. Ein Schnäpschen? Haha, Allah sieht's ja nicht!« Und dann am dritten Abend stand er hinter der Tür in ihrem Zimmer, nackt und mit rollenden Muskeln, und sie mußte ihn mit Handkantenschlägen hinaustreiben. »So ein Luder!« schrie der Mann.
Neue Zimmersuche. Sieben Tage lang. Studium der Tageszeitungen, und dann das Wettrennen um ein Bett. Und überall das Gefühl: Sie fassen dich wie eine glühende Kohle mit der Zange, nur weil du braunhäutig bist, weil du Laila statt Rosemarie heißt, weil du aus Palästina statt aus Wanne-Eickel kommst.
Dieser verdammte weiße Hochmut!
Laila ging die guten Häuser der Straße ab. Sie sprach mit den Bewohnern im Ton der Revolution. »Gebt die weiße Frau heraus!« rief sie und hielt den Revolver schußbereit in der Hand. »Ihr wißt, wer einen Feind der Freiheit versteckt, hat später keine Gnade zu erwarten! Die Revolution wird siegen, das ist gewiß!«
Aber die Häuser waren leer. Die Bewohner beteuerten ihre Unschuld. Laila glaubte es ihnen und rannte weiter.
Das Bordell von Madame Loulou überschlug sie. Hier ist sie nie, dachte Laila. Selbst in der Todesangst würde eine Katja Hellersen nie in ein Bordell flüchten.
Nach zehn Häuserkontrollen sah Laila ein, daß es sinnlos war, weiter zu suchen. Die Spur war verloren, aber sie würde wieder auftauchen im Hotel Intercontinental.
»Du wirst Hakim-Pascha nicht nach Deutschland entführen!« sagte Laila laut und schob das Kopftuch zurück. Die schwarzen Haare quollen hervor, verschwitzt, durch die Feuchtigkeit voller natürlicher Locken. »Ich spüre dich auf – im Dschebel Amman, in Beirut, wenn es sein muß, in München. Du kennst mich nicht – ich folge dir bis an die Tür der Hölle!«
Sie drehte sich um und lief zu dem Platz zurück, auf dem einige Fahrzeuge der Rebellen standen. Soldaten der dritten Kompanie – Karabasch hatte seine Truppe militärisch eingeteilt – erkannten Laila und begrüßten sie mit dem lauten Wortschwall aller Araber.
»Einen Jeep, Freunde!« rief sie. »Ich brauche sofort einen Jeep. Fragt nicht – es geschieht mit Willen des Chefs.«
Sie suchte sich einen Jeep aus, auf den
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