Der Wüstendoktor
fensterlos, verwahrlost. Nur die Tür unterbricht die Eintönigkeit. Innen aber schwelgt die Phantasie in Formen und Farben – hier hat man sein eigenes Reich, hier ist man sein eigener Pascha. Was geht es die anderen an, wie man lebt?
Auch dieser Innenhof war wie eine kleine Insel in einem dreckigen Meer. Zwei geschwungene Treppen führten zu zwei übereinanderliegenden, rundum laufenden Galerien mit weißlackierten, filigranartig geschnitzten Geländern. Von diesen Galerien gingen eine Menge Türen ab … Katja drehte sich im Kreis und suchte nach einem Bewohner. Hinter ihr plätscherte ein kleiner Brunnen – aus einer Marmorsäule lief das Wasser in Kaskaden in ein Becken aus bunten Glasmosaiken. Palmen standen in Gruppen auf Erdinseln, die den mit Kacheln gepflasterten Hof unterbrachen.
Im Untergeschoß öffnete sich plötzlich eine Tür. Eine dicke Frau in einem langen Seidenkleid und mit gewaltig gelockten, hellrot gefärbten Dauerwellen kam auf sie zu und blieb mit angezogenem Kinn ein paar Schritte vor ihr stehen. Die braunen, zusammengekniffenen Augen musterten sie.
»Madame«, sagte die dicke Frau. Ihre Stimme klang rauchig, und sie sprach französisch mit dem kehligen Akzent der Araber. »Sie haben sich verlaufen, nicht wahr? Darf ich Sie hinausbegleiten?«
»Nicht hinaus, bitte …« Katja suchte ihre Französischkenntnisse zusammen, aber es fehlten ihr die Vokabeln für eine deutliche Erklärung. Sie sagte deshalb, was sie halbwegs ausdrücken konnte. »Ich habe Angst.«
Die dicke Frau zeigte nach oben. Von weitem donnerten wieder die Geschütze. »Alles dumm –« sagte sie in einem zerhackten Deutsch. »Sie doch Deutsche?«
»Ja.«
»Sie hier nicht bleiben.«
»Nur ein paar Stunden, Madame. Bis zur Nacht … bis zum nächsten Morgen.«
»Das sehr schwer.« Die dicke Frau machte eine Handbewegung, die alle Galerien und Türen umfaßte. »Das hier Bordell … Am Abend kommen Männer.« Sie fiel wieder ins Französische und ballte die Fäuste. »Früher kamen die Touristen. Amerikaner, Engländer, Franzosen, Deutsche. Sie zahlten alles. Jetzt kommen die Guerillas und wollen alles umsonst. Allah verflucht sie. Ein Bordell ist das ehrlichste Geschäft auf der Welt. Madame, ich kann Sie nicht mit ruhigem Gewissen bei mir wohnen lassen. Warum flüchten Sie?«
»Man verfolgt mich.«
»Die Rebellen? Und dann kommen Sie zu mir? Madame, Sie sind in der Höhle des Löwen.«
»Verstecken Sie mich. Bitte!« Katja hob beide Hände. Eine flehende Gebärde, so alt wie die Menschheit.
Madame Loulou, wie sie in informierten Kreisen genannt wurde, rieb sich die Nase und fuhr sich mit beiden Händen durch das hellrote Haar.
»Kommen Sie mit«, sagte sie. »Hinter meinem Kleiderschrank ist ein kleines Kabinett, das niemand kennt. Aber es darf Sie nicht stören, wenn mein Besuch kommt. Es wird laut hergehen – jeder Beruf hat Schattenseiten.« Eilig wies Madame Loulou Katja Hellersen den Weg.
Mit der Abenddämmerung kamen die ersten Gäste. Katja verschwand hinter dem Kleiderschrank, der eine schmale Tür zu einem fensterlosen Raum verdeckte. Hier hockte sie sich auf einen schmalen Diwan und hörte, nur durch eine dünne Holzwand getrennt, die Geschäftstüchtigkeit von Madame Loulou. Ein paarmal schlüpfte Loulou zu ihr ins Kabinett, trank ein Glas Fruchtsaft und rauchte eine Zigarette. Sie kam in Dienstkleidung: mit entblößtem Oberkörper. Sie hatte schwere Brüste – für einen Orientalen ein Geschenk aus dem siebten Himmel.
»Wie heißt das Mädchen?« fragte sie und blies den Rauch an die Decke.
»Laila Husseini.«
»Ich habe meine Gäste gefragt – diese Laila ist eine Fahne der Revolution. Ihr Name fliegt von Mund zu Mund. Ihr Geliebter ist der Hakim-Pascha.«
»Er ist auch mein Geliebter.«
»Allah!« Loulou schlug die Hände über den Haaren zusammen. »So läuft es? Madame, einen guten Rat – morgen früh bringe ich Sie auf die andere Seite, und Sie verlassen sofort Jordanien. Hier haben Sie keine Chance zu überleben.«
Genau eine Minute wartete Laila, dann rannte auch sie los. Katja war hinter der nächsten Straßenbiegung verschwunden, irgendwo schoß man von den Dächern, der schrille Ton einer Trillerpfeife mischte sich in das Konzert der tausend Laute.
Vielleicht hat man sie erschossen, dachte Laila und sprang in langen Sätzen über den Platz. Es wäre die beste Lösung, und ich könnte meine Hände zeigen, frei von Blut.
Sie übersprang den von einer Granate zerfetzten Toten
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