Der Wüstendoktor
man ein MG montiert hatte. In einer eisernen Halterung stak eine Maschinenpistole.
»Vollgetankt und geladen!« sagte der Fahrer des Wagens, ein krausköpfiger junger Guerilla. »Aber paß auf, Laila … Die Front verschiebt sich von Minute zu Minute. Die Armee rückt über die König-Feisal-Straße vor und steht schon vor der Hussein-Moschee. Ich weiß nicht, welchen Auftrag du hast …«
»Es geht um Hakim-Pascha, Bruder.«
»Hat man ihn gefangen?!« schrien die Guerillas entsetzt.
»Nein, man will ihn entführen.« Laila sprang in den Jeep, der Motor heulte auf. »Aber noch lebe ich!« schrie sie. »Und solange bleibt der Hakim bei uns.«
Sie gab Gas, der Jeep schoß vorwärts und raste in einer Staubwolke über den Platz, schleuderte um die Ecke und verschwand.
Laila fuhr nach einem wohldurchdachten Plan. Sie umging die Widerstandsnester der Guerillas und erreichte den Wadi Amman. Hier schien der Krieg überhaupt nicht bemerkt worden zu sein. Friedlich zogen Kameltrupps durch den Sand, rollten Lastwagen zu den Ausfallstraßen, spielten Kinder unter den Palmen, Tamarisken und Sykomoren. An einer seichten Stelle wuschen vier Frauen ihre Wäsche, schlugen sie über ein Brett und schwenkten sie dann im Wasser. Die Jahrhunderte standen still – so knieten schon vor 2.000 Jahren die Frauen am Wasser und spülten den Wüstensand aus den Kleidern. Ein paar Meter weiter schwenkte ein Teppichknüpfer einen neuen roten Gebetsteppich im Fluß und wusch die überflüssige Farbe hinaus. Hinter ihm lagen bereits vier große Stücke und trockneten in der gleißenden Sonne.
Laila gliederte sich in einen Treck von Lastwagen ein, der über die Brücke des Wadi Amman zum Dschebel Aschrafije ratterte. Kurz vor der herrlichen Moschee bog sie nach rechts ab und fuhr dann in schnellem Tempo jenseits des Flusses der weißen, an den Berghängen hinaufgebauten Neustadt entgegen. Dem Viertel der Botschaften und reichen Europäer, der großen jordanischen Kaufleute und Minister. Dem Stadtteil, in dem der Reichtum überquoll, wo man die Dächer mit goldumrandeten, aus Kobalt gebrannten Ziegeln deckte, die Böden in Marmor und wertvollen Kacheln glänzten und die Innenhöfe Gärten aus den Märchenbüchern glichen, mit plätschernden Brunnen, geschnitzten Laubengängen, kühlenden Palmenhainen und Schwimmbädern mit Skulpturen aus weißem Alabaster.
Dschebel Amman – der Stolz der Stadt und der Fluch der Rebellen. In diese weißen Paläste floß das Geld des Landes – ein paar Familien nur beherrschten Jordanien, eine Handvoll moderner Nabobs, für die die zerlumpten Arbeiter schufteten, um ein Dach über dem Kopf, einen Mehlfladen, ein Stück Fleisch, ein Stück Stoff und Ziegenmilch für ihre Kinder zu haben.
Von einer Erhebung aus sah Laila das Dach des Hotels Intercontinental. Ein paar hundert Meter nur noch – auf dem First des Hotels wehte deutlich die jordanische Staatsflagge.
Aber weiter kam Laila nicht mehr. Ihr entgegen wehte von der Straße am Wadi eine Staubwolke. Eine Kolonne der Armee rückte vor – auf dem gleichen Weg, den Laila gekommen war.
»Das ist ja ungeheuerlich«, sagte der jordanische Offizier, der in einem offenen, braun gestrichenen Wagen den Truppentransportern vorausfuhr. Er setzte das Fernglas ab und reichte es an seinen Nebenmann weiter. »Da steht doch mitten auf dem Hügel ein Jeep der Guerillas! Die müssen verrückt geworden sein.«
Der andere Offizier, ein Hauptmann, betrachtete das einsame Gefährt durch das Fernglas und nickte.
»Sicherlich ein Sabotagekommando. Wagen eins bis vier fertig machen! Wir werden diesen Idioten zeigen, wer hier der Herr ist!« rief er forsch.
Die Kolonne hielt an. Aus den ersten vier Wagen sprangen die Soldaten und schwärmten aus. Ein Trupp brachte einen Granatwerfer in Stellung – schnell, vorzüglich eingeübt. Jeder Handgriff saß. Man merkte die britischen Militärberater.
»Feuer!« rief der Hauptmann und blickte wieder auf den einsamen Jeep. Der Abschuß donnerte in die heiße Luft, in weit auseinandergezogener Linie gingen die Soldaten vor. Als sie sahen, daß der einsame Mann dort oben im Jeep nicht flüchtete, sondern hinter das Maschinengewehr sprang, brach die gute, alte orientalische Kampfweise wieder durch – sie schwenkten die Waffen, schossen in die Luft, brüllten und boten das Bild furchterregender Wildheit und Todesverachtung.
Laila duckte sich, als der erste Granatwerfereinschlag gute zwanzig Meter hinter ihr den Sand aufwirbelte. Sie
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