Der Wüstendoktor
dem halblahmen Esel vorbeizotteln.
Die nächste Sperre. Königstruppen. Ein Soldat hielt sie an, mit einem Handzeichen, das international ist und auch ein Analphabet versteht. Eine hocherhobene Hand. Stop!
Laila ließ den Esel weitertrotten. Sie fuchtelte mit den Armen und schrie dem Soldaten zu: »Halt ihn doch an, wenn du kannst. Er wittert den Stall, da bleibt er nicht stehen. He! Stehenbleiben, du Teufelsaas! Halt! Bei Allah, ich erwürge ihn! Er gehorcht mir nicht …«
Der Soldat lachte und winkte großzügig. Passieren. Sieh zu, Mütterchen, daß dein Esel in den Stall kommt …
Drei Stunden brauchte Laila auf ihrem müden Tier, bis sie den Dschebel Amman erreicht hatte. Dort ließ sie den Esel stehen, und das war kein Tiermord, denn es gab immer jemanden, der sich um herrenlose Tiere kümmerte, und wenn's ein triefäugiger Esel war. Alles, was Lasten tragen konnte, war wertvoll; ein Kamel, ein Esel und eine Frau.
Auf dem Dschebel Amman fand Laila einen Lastwagen, der an die syrische Grenze fuhr. Hier, in dem Stadtteil der Villen und Botschaften, der modernen Appartementhäuser und breiten Straßen hatten Königstruppen drei Sperringe gezogen, um die Europäer zu schützen. Hinter diesem Schutzwall aus Leibern ging das Leben weiter, geschäftig, hektisch und luxuriös wie immer. Zwar floß in Amman Blut in Strömen, aber man glaubte nicht an einen Sieg der Rebellen. Der kleine König hatte zu viele Freunde. Die Welt stand hinter ihm, ähnlich wie bei Castro, der ein korruptes Regime wegfegte und dessen Marsch auf Havanna eine Erlösung war. Die Ziele Dr. Karabaschs dagegen schienen zu phantastisch und gefährlich. Ein großarabisches Reich, daran war schon der Mahdi gescheitert.
»Nehmt eine alte Frau mit nach Damaskus …« bettelte Laila und lief von Wagen zu Wagen. Sie hatte sich durchgefragt bis zu einem großen Speditionsunternehmen, das täglich mit mehreren Lastautos von Amman nach Damaskus fuhr. Abfahrbereit standen jetzt neun Autos auf dem Hof der Spedition, und die Fahrer prüften noch einmal die Wasservorräte und den Reifendruck. »Eine Tochter habe ich dort. Sie bekommt ein Kind! Helft einer alten Frau nach Damaskus. Allah wird euch segnen für eure Güte und euch im Paradies die schönsten Huris geben …«
»Auf Erden wären sie uns lieber!« brüllte einer der Fahrer. »So alt und vertrocknet und will noch nach Damaskus. Unterwegs dörrst du ganz aus, und wir haben die Arbeit mit dir!«
»Ich werde mich still in eine Ecke setzen. Ihr merkt mich gar nicht. Aber helft mir, ihr starken Söhne Mohammeds, ihr Helden …«
Sie rannte herum, klagte und weinte, setzte sich vor den Wagen in den Sand und schrie: »Überfahrt mich! Tötet eine alte, arme Frau! Habt ihr den Mut dazu?«
Schließlich nahm sie ein Wagen mit. Es war ein amerikanischer Dodge, beladen mit Kisten und Ballen. Laila legte sich auf einen Stapel Säcke, zog das Tuch über ihr Gesicht und wartete, bis der Wagen anruckte. Erst dann schälte sie sich aus den warmen Kleidern, kroch nach vorn zur Ladeklappe und blickte durch einen Spalt der Plane ins Freie.
Es war ein Abschiednehmen.
Ich werde dich nie wiedersehen, mein Vaterland, dachte sie. Mit jedem Meter, den ich verlasse, sterbe ich ein Stückchen.
Sie starrte auf das weggleitende Amman, dachte an Hakim-Pascha und biß sich auf die Unterlippe.
An seiner Leiche werde ich mich töten, dachte sie. Ich werde ihn so umklammern, daß sie uns gemeinsam begraben müssen. Ich kann nicht ohne ihn sein – was ist ein Himmel ohne Sterne …
Spät in der Nacht erreichte die Wagenkolonne die syrische Grenze. Laila kroch unter die Ballen wie eine Katze. Sie hörte die Stimmen der Grenzkontrollen, dann glitt der Schein eines starken Handscheinwerfers über die Ladung.
Keine Beanstandung. Wo sind die Transportpapiere? Ein paar Stichproben, Freunde. Wieder der Scheinwerfer, ein Kistendeckel krachte, Holzwolle raschelte.
»In Ordnung. Ihr könnt weiterfahren.«
Der Scheinwerfer erlosch. Unschlüssig blieb der Fahrer noch stehen und starrte in die Dunkelheit des Laderaumes. Bei Allah, wo ist die alte Frau? »He?!« rief er leise. »Komm 'raus. Später kann es Schwierigkeiten geben.«
Keine Antwort. Er streckte noch einmal den Kopf vor, schloß dann die Plane, verschnürte sie und ging nach vorn zu seinem Beifahrer.
»Wir haben unterwegs die Alte verloren«, sagte er und kletterte ins Führerhaus. Sie tranken ein paar Schluck Wasser aus dem Plastikkanister, aßen einen Mehlfladen und
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