Der Wüstendoktor
auch die Omnibusse der Besucher – hier aber war es still, einsam, staubig – ein aufgebrochener Friedhof, weiter nichts.
»Haben Sie sich verfahren?« fragte sie und drehte sich im Sitzen.
»Wenn Herr Vandura hier ist, kann er nur dort im Tempel sein …«
»Er ist überhaupt nicht hier«, sagte Kemal Gürzel. Seine Stimme war plötzlich trocken und spröde, wie verrostet. Laila fuhr herum, aber die große Hand des Türken klatschte blitzschnell auf ihr Gesicht, warf sie zurück in das Autopolster. Sie wollte ihre Tasche an sich reißen, aber Gürzel nahm sie ihr weg, sah die kleine Pistole und lachte heiser. Dann schlug er wieder zu, dreimal hintereinander, und es saß soviel Kraft hinter seinen Schlägen, daß Laila halb betäubt zusammensank.
»Was wollen Sie?« keuchte sie. Sie legte beide Hände über den Kopf, um sich zu schützen. »Sie wissen nicht, wer ich bin …«
»Gerade weil ich es weiß, sind wir hier.« Gürzel zerrte Laila aus dem Wagen, drückte sie auf die Knie und schlug ihr unter das Kinn. Ihr Kopf flog in den Nacken – aus kalten, glühenden Augen sah sie ihn an. »Du bist das Weibstück, das vor vier Monaten ein Flugzeug von Athen entführt hat. Und du warst bei den Rebellen, als das Flugzeugin Sarqa landen mußte. Stolz bist du herumspaziert, mit der Maschinenpistole im Arm, die ›Braut der Revolution‹ nannten dich die anderen. Für uns warst du ein Todesengel.«
»Für Sie?«
»Ja, für mich. Ich bin einer der Passagiere, die ihr in der Wüste gebraten habt. Ich habe gelernt, was es heißt, Todesangst zu haben. Ich habe euch angefleht, und ihr habt mich ausgelacht. ›Ich habe neun Kinder!‹ habe ich geschrien. ›Erbarmt euch doch! Sprengt mich nicht in die Luft!‹ Und ihr habt gelacht und geantwortet: ›Was gehen uns deine neun Kinder an? …‹
Das war eure Antwort, und ich bin fast gestorben vor Angst. Aber ich habe einen Schwur getan. Kemal, habe ich zu mir gesagt, wenn du mit dem Leben davonkommst, willst du alle verfluchen, die ein Gewehr in die Hand nehmen. Und wenn du einen der Rebellen wiedertriffst, soll er die gleiche Todesangst empfinden wie du …« Gürzel schwieg. Er schlug Laila auf den Kopf, als diese versuchte aufzuspringen. Sie fiel in den Schutt zurück und krümmte sich. »Ich habe dich gleich erkannt, als du aus dem Hotel kamst. Das ist sie, habe ich zu mir gesagt. Wenn man die arabischen Entführer in London, Zürich und München nicht freigelassen hätte, wären wir in die Luft gesprengt worden, und sie hätte dabei gestanden und hätte in die Hände geklatscht und vor Freude in die Luft geschossen. Eine Mörderin, die neun Kindern den Vater genommen hätte. Und da wurde es ganz klar in mir, ich hatte kein Herz mehr und keine Gedanken, als nur den einen: Du mußt sie auswischen. Du mußt sie einfach auswischen wie einen Fleck.« Gürzel atmete tief auf. »Ja, und das will ich tun!«
Laila gelang es nicht mehr, aufzuspringen und wegzulaufen. Das wäre ihre einzige Chance gewesen. Sie war auf den Beinen schnell wie eine Hündin, und der etwas dickliche Gürzel hätte den Atem verloren. Aber ihr Körper kam nur bis zur halben Höhe, da traf sie ein neuer Schlag der harten Faust. Sie rollte zurück in den Staub, und Gürzel war schnell über ihr, legte die Hände um ihren Hals und würgte sie.
Sie wehrte sich noch verzweifelt, mit erstickten Schreien, trat um sich, sie blähte den Hals, um den sich seine Finger krallten, aber der Himmel und die Ruinen, der Sand und die Sonne wurden fahler und dunkler, streifiger und lösten sich dann in wild drehende Punkte auf. Ihr Kopf explodierte, und das letzte, das sie wahrnahm, war Gürzels heißer Atem, der über ihrem Gesicht lag wie ein ekliges feuchtes Tuch.
Mit einem Seufzer ließ Gürzel Lailas Hals los. Er schob ihre Lider hoch, sah, daß sie noch lebte, massierte sogar ihren Hals und die Brust, bis der Atem deutlicher wurde, denn sie sollte nicht sterben, nicht so – nicht so einfach – sie sollte langsam sterben, schrittweise, bis zum Rande des Wahnsinns, alle Qualen der Hölle durchkosten, ehe die große Erlösung kam.
Gürzel handelte mit einer perfiden Präzision.
Er schleppte Laila auf den Schultern zu einem der Hügel und suchte eine Höhle, die tief und groß genug war, um einen Menschen aufzunehmen. Dort hinein schob er den leblosen Körper und begann dann große Steine vor den Eingang zu wälzen, sie aufeinander zu schichten, Block nach Block, bis der Höhleneingang geschlossen war. Aber das
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