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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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war ihm nicht genug – er baute noch drei Mauern hintereinander auf, schwitzend, keuchend, unter der Last der Steine fast zusammenbrechend. Eine unheimliche Kraft trieb ihn an. Als er in dem schrecklichen Grab die Stimme Lailas hörte, preßte er sich gegen die Steinwand und schrie zurück.
    »Hier gibt es keine Auferstehung!« brüllte er. »Hier gibt es keinen Jüngsten Tag! Spürst du schon die Angst? Spürst du sie?! Atme tief ein, solange du's noch kannst. Atme tief und schreie … Ich will dich schreien hören …«
    Er klebte an seinem Steinhaufen, zitternd, der Schweiß rann ihm über den Körper, und die Sonne brannte das Salz in die Poren. Und wirklich – sie schrie … Er hörte es, wie sie mit den Fäusten gegen den Steinwall hämmerte, hell wehte es durch die Ritzen, schrill und unmenschlich. Da fiel er auf die Knie, faltete die Hände und betete. Er war ein gläubiger Katholik, er hatte noch nie einen Menschen getötet, er hatte Frau und neun Kinder, war ein ehrlicher Kaufmann gewesen, ein freundlicher Mensch, geachtet und beliebt bei allen – aber dann stieß man ihn in die Todesangst, setzte ihn auf eine Bombe mitten in der Wüste, und sein Geist zersprang wie Glas auf einer Flamme.
    Am Nachmittag fuhr Kemal Gürzel zurück nach Beirut. In dem großen Grab hinter den Steinmauern war es still geworden. Bevor er ging, legte er noch einmal das Ohr an die Quader. Kein Laut.
    Sie ist tapfer, dachte er. Verdammt, ist sie tapfer. Vor einer halben Stunde hat sie gesungen. Die Todessuren aus dem Koran. Jetzt wird sie auf der Erde sitzen und auf den Tod warten. Ich war nicht so ruhig, ich habe gejammert wie ein Waschweib, dem die Wäsche angesengt ist. Ich war ein Feigling – sie ist ein Held.
    Er schwankte zu seinem Wagen zurück und hatte Mühe, bis nach Beirut zu kommen. Dort stellte er sich unter die Brause in seinem Zimmer, duschte sich kalt ab und wusch den Schweiß der Rache von sich.
    Aber als er in den Spiegel sah, als er sein Gesicht betrachtete, in dessen Falten noch das Grauen nistete, zerbrach er. Er heulte auf, schlug die Hände vor seine Augen und warf sich auf das Bett.
    Zobels Überfall-Inszenierung klappte vorzüglich, nur hatte sie einen Nachteil: Die Akteure spielten zu gut und zu natürlich.
    Kaum hatten sie den Wagen angehalten, kreischten die Frauen auf, hoben die Männer die Arme in die Luft, bis auf Vandura, der seinen Arm um Katja legte, fiel Renate Bebel rollengerecht in Ohnmacht und bekam Atemnot, ließen die vier Räuber alle aussteigen und leerten den Reisenden die Taschen.
    Zähneknirschend stand Zobel hilflos daneben und vergaß sogar, seine Fotos zu machen. Als die vier biederen Limonadenverkäufer auch seine Taschen filzten, knirschte er: »Ich lasse euch in Beirut verhaften!« Aber die Araber lachten nur, klopften Zobel auf die Schulter; sagten höflich im Chor: »Mammun«, was danke heißt, bestiegen ein altes, klappriges Auto und fuhren mit reicher Beute davon.
    Zobel verfluchte seinen genialen Plan, denn Renate Bebel war plötzlich aus ihrer Ohnmacht erwacht, noch bevor Vandura sie untersuchen konnte, was ja überhaupt der Zweck des ganzen Theaters war, denn einer der Räuber hatte auch sie abgetastet, und wenn ein Araber über den Körper einer Frau streicht, dann wecken seine Hände selbst Ohnmächtige auf.
    »Pech auf dem ganzen Schuh!« stöhnte Zobel, als Renate Bebel hochzuckte und dem tastenden Araber eine Ohrfeige gab. »Die Spesenrechnung kriege ich nie bezahlt …« Dann schrie er pflichtgemäß: »Polizei! Leute, rührt euch nicht, die machen ernst«, holte seine Kamera und knipste vier Bilder der vor dem Bus stehenden Reisenden, wie sie die Hände hoch in den blauen Himmel streckten. Es war eine einsame Gegend, felsig, heiß, die Luft flimmerte, das blaue Meer leuchtete im Hintergrund, eine einsame Palme stach in den Himmel – Romantik des Räuberlebens, nur darf man nicht selbst daran beteiligt sein.
    Es dauerte eine Stunde, bis der Busfahrer bereit war weiterzufahren. Er saß zitternd neben den Vorderrädern und hatte einen Schock bekommen. Vandura behandelte ihn mit drei Taschentüchern und kaltem Wasser – eine völlig unheldische Therapie, die Zobel nicht fotografierte. Natürlich wurde der Ausflug abgebrochen, und als man ins Hotel zurückkam, stürzten vierzig Helden in die Halle und berichteten laut von ihrem Abenteuer mit den wilden Räubern auf der Küstenstraße. Bernd Zobel verbreitete eine glaubwürdige Version des glimpflich verlaufenen

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