Der Wüstenpalast
und sah auf ihre Armbanduhr. Es war gerade erst acht Uhr morgens. Mit einer Hand strich sie sich die Haare aus der feuchten Stirn und erstarrte.
In Wüstengewänder gekleidet, stand Razul nur wenige Meter entfernt, reglos wie ein in Stein gehauenes Standbild.
Sein Schweigen war einschüchternd. Doch das, was Bethany am meisten aus der Fassung brachte, war die Welle der Freude und der Erleichterung, die sie bei seinem Anblick empfand.
Sie wandte den Kopf ab. “Also gut, ich habe versucht, meine Freiheit zurückzugewinnen und bin dabei weit vom Flughafen entfernt gelandet”, gab sie mit nervöser Ironie zu. “Und was jetzt? Willst du mich zur heißesten Zeit des Tages bis zum Hals in Sand eingraben, mich mit Honig einschmieren und die Skorpione auf mich hetzen? Oder schickst du mich nur in Ungnade nach Hause? Was ist die traditionelle Strafe?”
“Der Tradition zufolge sollte ich dich schlagen.”
Alle Farbe wich Bethany aus den Wangen. Sofort fiel ihr die katastrophale Ehe ihrer Tante mit einem Araber ein. Seine Gewalttätigkeit hatte eine große Rolle beim Scheitern dieser Ehe gespielt.
“Das ist ein ziemlicher Gesprächskiller, Razul”, murmelte sie.
“Du hast mich verlassen.” Die ungeheure Missbilligung, die diesen Satz begleitete, spiegelte seinen Zorn, den er offenbar nur mit Mühe zügeln konnte.
“Das ist das Problem, wenn man Frauen stiehlt”, entgegnete Bethany trotzig. “Die dummen Wesen könnten eigenartigerweise durchaus danach streben, ihre Freiheit wiederzuerlangen.”
“Willst du, dass ich mich vergesse?”
Bethany richtete sich auf. Ihre Augen blitzten. “Warum nicht? Ist dieses ganze wahnsinnige Durcheinander nicht deine Schuld? Meine jedenfalls nicht! Wie konntest du es wagen, mich in dieses Land zu bringen? Und wie kannst du es wagen, jetzt dazustehen und zu versuchen, mir Angst einzujagen?”
“Mäßige deinen Ton mir gegenüber, solange wir hier sind, wo man uns hören könnte.” Razul war blass vor Zorn.
“Ich tue, was ich will. Ich bin schließlich nicht dein Besitz wie irgendein Teppich, auf dem du herumtrampeln darfst, wann immer du Lust dazu hast. Und du hast keine Rechte über mich!”
“Ach nein?”
“Nein, nicht das geringste. Und darum kannst du dir dein Machogehabe auch für deinen Harem aufsparen! Deine Chancen, dass ich zu deinen Füßen herumkriechen werde, sind gleich Null … Eher würde ich mir die Kehle durchschneiden! Wie kannst du es wagen, von Ehre zu reden, wenn du schon längst eine Frau hast? Als ich dich damals in England primitiv, barbarisch und unzivilisiert genannt habe, war das noch stark untertrieben!”
Das Gesicht wutverzerrt, trat Razul so unvermittelt auf sie zu, dass Bethany sich schreiend auf die Ottomane zurückfallen ließ. Sie bei den Schultern packend, zog er Bethany wieder hoch und verschloss ihr dann mit fester Hand den Mund.
Mit ängstlich weit aufgerissenen Augen schaute sie zu ihm auf.
“Sei still”, befahl Razul.
Das war nicht, was sie erwartet hatte.
“Meine Leute werden denken, ich könnte meine Frau nicht unter Kontrolle halten. Aber ich weiß sehr wohl, wie ich mit ihr umzugehen habe”, versicherte er ruhig. “Im Bett und auch außerhalb. Aber ich bin noch nie so tief gesunken, dass ich verabscheuungswürdige Gewalt angewendet hätte. Und das würde ich auch nicht. Oder geht das über deinen Horizont?”
Unfähig, irgendetwas zu sagen, sah sie ihn an, gefangen von dem Blick in seinen goldfarbenen Augen, die vor Verachtung und Ärger aufleuchteten.
“Und deshalb,
aziza
… Schrei noch ein einziges Mal, und du kriegst einen Eimer voll Wasser über den Kopf. Ist mein Englisch klar genug, hast du mich verstanden?”
Bethany nickte stumm, und mit einem letzten sengenden Blick ließ er sie los.
Razul schaute auf sie herab. “Du hast gesagt, dass … dass ich schon eine Frau habe. War das irgendein kindischer Versuch, mich noch weiter zu erniedrigen?”
“Ich weiß, dass Fatima deine Frau ist.”
“Ich habe noch nie eine Frau gehabt. Mit zweiundzwanzig wurde ich mit Hiriz, meiner Cousine zweiten Grades verlobt. Sie ist vor fünf Jahren kurz vor unsrer Hochzeit bei einem Autounfall gestorben. Hiriz hatte eine jüngere Schwester, Fatima”, erklärte Razul in schroffem, sachlichem Tonfall. “Aber sie ist nicht meine Frau. Willst du vielleicht, dass ich Zeugen dafür berufe?”
Bethany war wie vor den Kopf geschlagen. Sie versuchte sich an das zu erinnern, was Zulema gesagt hatte, und ihr wurde klar, dass
Weitere Kostenlose Bücher