Der Wüstenpalast
Fatima zu keinem Zeitpunkt Razul als ihren Mann bezeichnet hatte, sondern im Gegenteil höchst selbstgefällig dreingeblickt hatte, als Bethany sich darauf bezog.
Razul musterte sie mit eiskaltem, finsterem Blick. “Wenn du dir nur ein wenig Mühe gemacht hättest, mich kennenzulernen, hättest du längst gewusst, dass ich von Polygamie nichts halte. Ebenso wenig wie mein Vater. Eine Frau ist für einen Mann völlig ausreichend. Aber nein!” Barsch lachte er auf. “Du siehst so etwas nicht. Dein blindes Vorurteil ist beschämend, und deine Vermutungen einer Akademikerin unwürdig!”
Kreideweiß und zutiefst erschüttert hob Bethany die Hand und ließ sie dann wieder fallen. “Razul, ich …”
“Im Namen Allahs, mit einer Entschuldigung würdest du mich nur noch mehr beleidigen. Zweifellos leidest du auch noch unter der abstrusen Vorstellung, dass meine Familie Konkubinen unterhält! Wir mögen zwar primitiv, rückständig und extrem unwestlich sein, aber unsere Maßstäbe, was das Sexualverhalten betrifft, sind sehr viel höher als die in eurer Gesellschaft!”
Zerknirscht senkte Bethany den Blick.
“Nach dem Tod von Hiriz wurden viele junge Frauen zu meinem Vater geschickt, in der Hoffnung, dass ich mir eine Braut aus ihren Reihen auswählen würde. Während ihres Aufenthalts in unserem Haushalt befanden sie sich unter strengster Aufsicht. Außerdem wurden sie auf Kosten meiner Familie ausgebildet, gekleidet und mit einer Mitgift ausgestattet, – ein sehr praktischer Grund dafür, weshalb diese Mädchen von ihren Vätern angeboten wurden. Bis die Erträge aus den Ölvorkommen verteilt wurden, waren die meisten von ihnen nicht in der Lage, ihre Töchter angemessen zu verheiraten. Meine Verwandten haben entsprechende Ehen arrangiert.”
“Woher hätte ich das denn wissen sollen?”, meinte Bethany leise.
“Du wolltest es gar nicht wissen”, warf Razul ihr vor. “Du hast es vorgezogen, den üblen Verleumdungen Glauben zu schenken, die in der Presse erschienen. Jener Artikel stellte eine zutiefst beleidigende Verunglimpfung dar, die sowohl meiner Familie als auch den Familien der betroffenen jungen Frauen großen Kummer zugefügt hat. Einen derart obszönen Unsinn zu dementieren, war unter unserer Würde.”
Wie die meisten ihrer Kollegen hatte Bethany den Zeitungsartikel nur zu gern für bare Münze genommen. Denn dieser bot ihnen die wundervolle Gelegenheit, sich über die Heuchelei einer Gesellschaft zu ereifern, die verlangte, dass junge Frauen vor der Heirat in klösterlicher Reinheit lebten, während sie zugleich den Herrschern im Land das Recht zugestand, sich Konkubinen zu halten.
Bethany aber hatte einen noch tiefer gehenden Grund, diese Geschichte unbesehen zu glauben. Alles, was die Mauern verstärkte, die sie zwischen sich und Razul errichtet hatte, war ihr willkommen gewesen. Es hatte ihren entschlossenen Widerstand nur noch erhöht und war ihr Beweis dafür gewesen, dass Razul ihr in seiner Lebensweise tatsächlich so fremd war, wie sie meinte.
Jetzt auf einmal erschrak sie darüber, dass sie sich, die immer so stolz auf ihre Unvoreingenommenheit gewesen war, zu einem solchen unhinterfragten Vorurteil hatte hinreißen lassen.
“Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll”, antwortete sie voller Befangenheit.
“Wie hast du dir diese Verletzung zugezogen?” Razul war vor ihr auf die Knie gegangen und nahm ihre Hand.
Die tiefen Kratzer, die Fatima ihr zugefügt hatte, stachen dunkel gegen ihren hellen Teint ab.
“Fatima hat dies getan”, flüsterte er ungläubig.
“Das macht nichts”, meinte Bethany erstickt.
“Sie hat Zulemas Familie bedroht, aber Zulema war geistesgegenwärtig genug, mich zu informieren. Doch als sie mich endlich aufsuchen konnte, war es schon spät. Ich hatte eine Unterredung mit meinem Vater. Diese Kratzer müssen behandelt werden, damit sie sich nicht entzünden. Man hätte sich gestern schon darum kümmern müssen.” Stirnrunzelnd gab Razul ihre Hand frei und richtete sich wieder auf.
“Ich glaube, wir müssen miteinander reden”, sagte Bethany unsicher.
“Ich bin immer gerne bereit zu reden.” Es war fast ein Lächeln, das über seine Miene huschte.
Bethany schluckte hart. “Ich … ich möchte … dir einen Vorschlag machen.”
“Hat der mit deiner Abreise zu tun?”, fragte er rau.
“Ja … Nun ja, es wäre sicherlich sinnvoll, wenn ich nach Hause fahre. Aber das … bedeutet nicht, dass ich … na ja, dass ich nicht bereit wäre …”
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