Der wunderbare Massenselbstmord
die Lebenssituation der potenzi ellen Selbstmörder diskutieren«, sagte Helena Puusaari. »Wir können die armen Menschen nicht nur mit diesem einen tröstlichen Brief abspeisen.«
Oberst Kemppainen warf ihr vor, dass sie offensicht lich von Berufs wegen gewohnt war, wegen jeder etwas komplizierteren Frage ein Seminar oder eine Beratung durchzuführen. Dieselbe Unsitte hatte sich auch schon in der Armee eingebürgert. Dort wurden heutzutage für alles und jedes Kommissionen eingesetzt und Versamm lungen abgehalten, deren einzige Bedeutung für ge wöhnlich darin bestand, dass die Offiziere eine gute Gelegenheit hatten, auswärts zu saufen, wo sie der Aufsicht ihrer Frauen entzogen waren. Auch Onni Rello nen wusste, was Seminare und unnötige Konferenzen in der Geschäftswelt bedeuteten: Sie wurden zum Anlass genommen, gut zu essen und noch besser zu trinken, die Teilnehmer machten sich manchmal tagelang in den Kongresshotels breit, und die Kosten wurden nachher in der Firma von der Steuer abgesetzt. Der finnische Staat finanzierte faktisch den Alkoholismus der Geschäftsleu te und mästete die mittlere und oberste Führungsebene. Als Ausbeute von diesen Konferenzen lagen nachher im Büro ungeöffnete Mappen mit kopiertem Material her-um, das sowieso niemand las. Geld wurde verschwen det, die Tage vergingen, und die unterbezahlten weibli chen Angestellten leisteten massenweise Überstunden, damit die Firmen nicht in Konkurs gingen.
Der Oberst bemerkte in sarkastischem Ton, dass Rel lonen, als Spezialist für Konkurse, sich hier natürlich bestens auskannte.
Helena Puusaari ärgerte sich. Sie erklärte, dass jetzt keine Zeit für irgendwelche blöden Männerwitze war. Das Leben von sechshundert Menschen stand auf dem Spiel. Den Unglücklichen musste dringend geholfen werden. Man musste sie zusammenrufen, zumindest einen Teil von ihnen, damit sie über ihre Probleme reden und sich gegenseitig Trost spenden konnten. Es muss-ten geeignete Räumlichkeiten für die Begegnung gefun den und ein Programm ausgearbeitet werden, mit dem sich praktische Ergebnisse erzielen ließen.
Der Oberst sagte beschwichtigend:
»Reg dich nicht auf, Helena, Onni und ich haben letz ten Endes dasselbe gemeint. Es ist eine gute Idee, im Zusammenhang mit diesem Trostbrief auch gleich zu einem Treffen einzuladen. Wäre Helsinki der geeignete Ort für eine Massenversammlung finnischer Selbst mordkandidaten, oder sollten wir, da jetzt Sommer ist, auswärts tagen?«
Onni Rellonen fand, dass man die Versammlung zu mindest in keiner Kleinstadt organisieren durfte. Wenn sich zum Beispiel in Pieksämäki auch nur hundert potenzielle Selbstmörder treffen würden, dann bliebe der Charakter der Veranstaltung nicht geheim. Finnland war das gelobte Land des Tratsches, und in dieser ganz speziellen Angelegenheit sollte man besser jedes Aufse hen vermeiden.
Helena Puusaari schlug die Gaststätte Laulumiesten Ravintola im Helsinkier Stadtteil Töölö vor. Dort gab es im Keller ausgezeichnete Versammlungsräume. Die Gaststätte wurde oft an geschlossene Gesellschaften vermietet, vorrangig für Begräbnisfeiern. Ganz in der Nähe lagen der Friedhof von Hietaniemi und die Kirche am Temppeliaukio.
»Mit dem Bezug zu Begräbnissen eignet sich die Gast stätte ausgezeichnet für unsere Zwecke«, entschied Oberst Kemppainen. »Lasst uns gleich die Einladung schreiben, einigen wir uns darauf, dass die Versamm lung am Sonnabend nächster Woche stattfinden soll. Wenn wir die Briefe morgen abschicken, schaffen es die Interessenten noch, ihre Fahrt nach Helsinki vorzuberei ten.«
Rellonen fand den Zeitplan zu eng, aber seine Beden ken wurden mit der Bemerkung weggewischt, je weiter man die wichtige Versammlung aufschob, desto mehr Selbstmordkandidaten könnten sich umbringen, ehe sie die rettenden Schicksalsgefährten getroffen hatten.
Fieberhaft machten sie sich an die Arbeit. Die Räume mussten gemietet, das Rundschreiben kopiert und schnellstmöglich abgeschickt werden. Jeder verlorene Tag bedeutete tote Menschen, das ahnten die drei, die sich der Sache verschrieben hatten. Oberst Kemppainen kümmerte sich um die Anmietung der Versammlungsräume im Restaurant. Der Oberkell ner erzählte ihm, dass im Keller etwa zweihundert Per sonen Platz fanden, die meisten im Saal, dazu etwa vierzig im Salon. Kemppainen ließ die Gaststätte für den kommenden Sonnabend ab zwölf Uhr reservieren. Gleichzeitig vereinbarte er die
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