Der wunderbare Massenselbstmord
habe achtundsechzig PS. Das Schiff sei vor dem ersten Weltkrieg vom Saimaa bis nach Sankt Petersburg gefahren. Er, Heikkinen, habe es im Jahre 1973 auf einer Auktion gekauft. Er habe es zu einem Spottpreis bekommen und geglaubt, ein beson ders gutes Geschäft gemacht zu haben. Im Laufe der Jahre habe sich das Schiff jedoch als zerstörerisch für sein Leben erwiesen.
Heikkinen stellte eine Leiter an die MS Varistaipale und kletterte aufs Deck. Der Oberst und ein paar andere Männer folgten ihm. Der Besitzer stellte die Passagier räume vor. Sie waren arg verwittert, von den Paneel wänden war schon vor Zeiten die Lackierung abgeblät tert, und sie waren stellenweise so verfault, dass sie sich nur gerade noch aufrecht hielten. Jedenfalls fühlte sich niemand ermutigt, sich anzulehnen. Das Deckshaus hatte Heikkinen im Laufe der Jahre instand gesetzt. Das Ruder war aus poliertem Messing. Auch das Sprachrohr, das in den Maschinenraum führte, glänzte nach fleißi gem Abreiben. Die Schiffsglocke bimmelte hell, als Heik kinen an der Schnur zog. Weiter war er mit der Instand setzung des Oberdecks nicht gekommen. In das Sprach rohr zu rufen erübrigte sich. Heikkinen sagte niederge schlagen, dass von unten nie jemand geantwortet habe.
Die Männer stiegen über die gusseiserne Treppe in den Maschinenraum hinunter. Dort waren die Einzeltei le der alten Dampfmaschine ausgebreitet. Heikkinen knipste die Hängelampe an und berichtete, dass er länger als zehn Jahre an der Maschine gearbeitet habe. Er habe neue Lager aus Weißmetall gegossen, habe alle Teile gereinigt und zum Teil neue gefertigt. Einmal habe er die Maschine zusammengesetzt und versucht, sie in Gang zu bringen, das sei im Jahre 1982 gewesen. Im Kessel sei geringer Druck entstanden, die Pleuelstange habe angefangen sich träge zu bewegen, Dampf sei durch den Schornstein aufs Oberdeck gedrungen. Aber irgendetwas sei schief gegangen. Die Welle habe nur ein paar Umdrehungen gemacht und sei dann stehen ge blieben. Es habe nicht viel gefehlt, und das Schiff hätte während des Probelaufs Feuer gefangen. Er habe seine Maschine wieder auseinander genommen und angefan gen, nach den Fehlern zu suchen. Das seien nicht weni ge gewesen. Immer noch lagen die Einzelteile ausgebrei tet im Raum.
Schiffsreeder Mikko Heikkinen tastete über die Bo denwanne, wo sich im Laufe der Jahre eine Pfütze Kon denswasser angesammelt hatte. Darin schwammen mehrere Flaschen Bier. Heikkinen fischte die Flaschen aus der öligen schwarzen Brühe und bat den Oberst und die anderen Männer wieder nach oben ins Decks haus.
Heikkinen bot seinen Gästen Bier an. Er selbst trank schnell und durstig aus der Flasche: Sein Adamsapfel hüpfte gierig auf und ab, das warme schäumende Bier stürzte in den Magen des Mannes, seine Augen schlossen sich für einen Moment. Dann rülpste er und bekannte, dass ihn sein Schiffswrack zum Säufer ge macht habe.
»Dieses Projekt hat mich zur menschlichen Ruine gemacht. Ich bin bald in ebenso jämmerlichem Zustand wie dieser verfluchte Schrottdampfer.«
Mikko Heikkinen fuhr mit seiner traurigen Geschichte fort. Als er das Schiff vor siebzehn Jahren gekauft hatte, war er ein junger, naiver Bewunderer der Seefahrt gewe sen. Er hatte davon geträumt, den alten Passagierdamp fer wieder flottzumachen, ja er hatte sogar die Absicht gehabt, den Dampfschiffsverkehr auf dem Saimaa wie der aufzunehmen. In seinen kühnsten Vorstellungen hatte er sich am Ruder der MS Varistaipale auf der Newa in Sankt Petersburg einlaufen sehen, um dort mit sei nem prächtigen Dampfer neben dem historischen Pan zerkreuzer Aurora zu ankern.
In den ersten Sommern hatte Heikkinen eifrig im dunklen Schiffsinneren gebastelt und kaum die Sonne gesehen. Er hatte genietet und geschweißt, den Rost von den alten Stahlplatten gehämmert, ohne Ende. Aber das Schiff war zu groß und die Arbeitskraft zu gering. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen, das Schiff war so schnell gerostet, dass er als einzelner Handwerker nicht mit dem Reparieren hinterherkam.
Sein gesamter Verdienst war für die Instandsetzung des Schiffes draufgegangen. Die Arbeit als Lehrer in der Mechanikerausbildung an der Berufsschule hatte gelit ten. Heikkinen gab zu, dass er den Realitätssinn verlo ren hatte. Er hatte begonnen zu trinken. Seine Woh nung hatte sich in eine Werkstatt verwandelt. Überall hatten Zeichnungen und fettige Putzwolle herumgelegen. Die Familie hatte
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