Der wunderbare Massenselbstmord
sich verächtlich von dem verrückten Schiffsreeder abgewandt. Schließlich hatte sich seine Frau scheiden lassen und die Kinder mitgenommen. Er hatte das Haus verloren. Der Verwandten hatten begon nen ihn zu meiden. Auf der Arbeit hatte man ihn grau sam verspottet, die Kollegen hatten ständig nach dem Termin des Stapellaufes gefragt. Bei der Weihnachtsfeier hatten sie ihm eine Flasche Sekt für die Schiffstaufe geschenkt. Das war zu einem alljährlichen Ritual gewor den. Heikkinen war tief gedemütigt worden, denn er hatte bereits fünfzehn Flaschen Sekt entgegennehmen müssen. Die hatte er verbittert allein im dunklen und feuchten Schiffsrumpf getrunken. Die leeren Flaschen hatte er wütend an der rostigen Reling zerschlagen.
Heikkinen war in der Stadt zum allgemeinen Gespött geworden. Böswillige Scherze waren über ihn im Um lauf, man nannte ihn den Kapitän zu Lande der Vari-staipale-Dampfschifffahrtsgesellschaft. Zu seinem vier zigsten Geburtstag hatte er einen Kompass geschenkt bekommen. Den hatte er zum An- und Verkauf gebracht und sich für das Geld Schnaps gekauft.
Das Wrack verursachte ihm nur Kosten. Er musste Werkzeug und neue Teile kaufen, musste die Liegege bühren und die Stromrechnungen bezahlen. Er war völlig abgebrannt. Sein Arbeitsplatz war in Gefahr, die Berufsschule suchte bereits nach einem Ersatz für ihn.
Heikkinen gab bereitwillig zu, dass er wegen des Schiffes verrückt geworden sei. Im Frühjahr hatte er versucht, es zu Wasser zu lassen, denn er war zu dem Schluss gekommen, dass es das Klügste wäre, sich mitsamt dem Wrack im Linnansalmi zu ertränken. Selbst das war ihm nicht geglückt, die MS Varistaipale war auf ihren Pallungen festgerostet und hatte sich nicht von der Stelle gerührt, obwohl er versucht hatte, sie mit hydraulischen Druckpressen anzuheben und ins Wasser zu zwingen. Das Schiff war sein Schicksal.
Mikko Heikkinen trank sein Bier aus und hockte sich nieder, er barg den Kopf in den öligen Händen und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie rannen über das gefurchte, dunkle Gesicht und tropften auf seinen verschmierten Arbeitsanzug.
»Ich kann nicht mehr«, schluchzte der unglückliche Mann. »Nehmt mich mit, egal, wohin ihr fahrt, aber nehmt mich mit«, flehte er.
Oberst Kemppainen legte seine Hand auf die Schulter des leidgeprüften Schiffsreeders und bat ihn, in den Bus einzusteigen.
17
Die Reisegesellschaft blieb über Nacht in Savonlinna. Da es Sommer und beste Touristensaison war, gab es für eine so große Gruppe keine Hotelzimmer. Die Selbst mörder mussten auf einem Campingplatz übernachten. In gewohnter Manier überwachte Uula das Errichten des großen Zeltes. Für die Frauen konnten drei Hütten gemietet werden, die Männer schliefen im Zelt.
Für den Abend reservierten sie die Sauna des Cam pingplatzes. Sie säuberten sich und sorgten vor allem dafür, dass Heikkinen, der Kapitän zu Lande, sich das ranzige Öl und die Rostpartikel, die sich im Laufe von siebzehn Jahren angesammelt hatten, von der Haut schrubbte.
Nach der Sauna badeten alle im Linnanvirta und rö steten Würste über dem Lagerfeuer. Der dunkle Schat ten der Burg Olavinlinna spiegelte sich im reißenden Fluss. Die Unterhaltung kreiste um die Geschichte vom Burgfräulein, das sich anstelle des Verräters, den es liebte, in die dicke Mauer der Festung hatte einmauern lassen. Die Vermutung lag nahe, dass im Laufe der Jahrhunderte wohl Dutzende von Menschen hier Selbstmord begangen hatten, indem sie von den hohen Türmen der düsteren Kriegsburg ins schwarze Wasser hinabgesprungen waren.
In Savonlinna hätte die Gruppe gern noch länger Ur laub gemacht, aber die Pflicht rief. Sie mussten nach Kotka, um Jari Kosunens Begräbnis nicht zu verpassen. Vor allem die beiden neuen Mitglieder, die Hauswirt schaftslehrerin Elsa Taavitsainen und der Kapitän zu Lande, Mikko Heikkinen, trieben zur Eile. Sie hatten von Savonlinna und den dort lebenden Menschen genug.
So trat man wieder die Reise an. Korpelas Route führ te von Savonlinna über Parikkala, Imatra, Lappeenranta und Kouvola nach Kotka. In Parikkala wurde der selbstmordgefährdete, von der postindustriellen Gesell schaft ausgemusterte Dorfschmied Taisto Laamanen, 74, aufgelesen. Unterwegs besichtigte die Gruppe den Wasserfall Imatrankoski, schritt zu dem Zweck über die Dammbrücke, die über den Wasserfall hinwegführte. Es war gerade Mittagszeit, und die Schleusen des Kraft werks wurden
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